In den Medien, der Politik und Öffentlichkeit hört man immer häufiger die Rede von „Werten“. Es geht um „konservative Werte“, die es zu bewahren gilt oder um „ökologische Werte“. In der Auseinandersetzung um die sogenannte Homo-Ehe hört man als Sprachfloskel, „dass auch außerhalb der klassische Ehe und Familie Werte gelebt werden“. Nicht nur dass es zumeist unklar bleibt, welche konkreten Werte gemeint sind ist das Problem, sondern welche Grundlage diese Werte haben und ob sie über bloß subjektive Vorlieben hinaus auch objektiv begründet werden können. Ausgehend von Franz Brentano und seiner Schule gab es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine aus der Phänomenologie hervorgehende Wertethik, deren wichtigste Vertreter Max Scheler und Nicolai Hartmann waren.
Im „UTB-Online-Wörterbuch Philosophie“ findet sich ein nützlicher Eintrag zu dieser Wertethik:
„Bezeichnung für eine in der Tradition der phänomenologischen Wertlehre stehende Ethik, die Handlungen durch den Bezug auf ein (hierarchisch geordnetes) Reich von Werten zu begründen versucht. Obgleich der Sache nach seit Platons und Aristoteles’ Frage nach dem höchsten Gut die gesamte abendländische Geistesgeschichte von der Diskussion über den Charakter, die Herkunft, die Existenzweise, die Objektivität oder Subjektivität, die absolute oder relative Geltung von sittlichen Werten geprägt ist und dies in unterschiedlichen Tugend- und Güterlehren verschiedene Antworten gefunden hat, ist für die Entwicklung einer eigenständigen Wertethik die um den Begriff des ›Wertfühlens‹ zentrierte vor-subjektive oder objektive Wertlehre F. Brentanos von besonderer Bedeutung, der zufolge – unter Aufnahme von Motiven der Wertphilosophie des 19. Jhs. – die innerlich gefühlte Wertevidenz die letzte Instanz für die Richtigkeit von Werten ist. Der Phänomenologe Husserl (Vorlesungen über Ethik und Wertlehre , 1908–1914 ) schließlich, der den Wert als das intentionale Korrelat des wertenden Aktes bestimmt, begründete die Hauptrichtung der Wertethik des 20. Jhs., die phänomenologische Wertethik, die dann 1913 durch Scheler (Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik ) sowie 1926 durch N. Hartmann (Ethik ) eine jeweils eigene bedeutende Ausgestaltung erfuhr. Nach Scheler sind Werte als eigenständiges, vom Seienden unabhängiges Apriori aufzufassen, zugänglich im intentionalen Fühlen als dem »emotionalen Apriori« der Erfassung einer objektiv bestehenden Werthierarchie durch das Individuum, sodass sich eine intersubjektive Prüfung von Werten erübrigt. Intendiert ist damit eine Gegenkonzeption zur kantischen Pflichtethik, deren – vermeintlicher – Formalismus, Subjektivismus, Rationalismus und Universalismus zurückgewiesen wird. Hartmann verstärkt die Lehre Schelers insofern, als er die Systematisierung eines an sich bestehenden Reiches von hierarchisierten, »unberührt von Subjekten« existierenden Werten versucht, die er durch Einzelanalysen konkretisiert.“
Der Personalismus, eine philosophische Strömung, die aus der Phänomenologie und den Existenzphilosophie hervorgegangen ist und kaum außerhalb der katholischen Kirche Bedeutung gewinnen konnte, gehört ebenfalls zu den Anhängern einer Wertethik. Den unterschiedlichen Positionen der Wertethik ist gemeinsam, dass sie ein eigenes geistiges Vermögen annehmen, mit dem Werte erkannt werden („Wertfühlen“) und dass die Werte in einem „idealen Reich“ angesiedelt werden, das weder bloß subjektiv ist, aber auch nicht objektiv.
Neben vielen anderen Unterschieden zur Naturrechtsethik liegt hier der wesentliche Unterschied. Die Wertethik hat eine stark idealistische Grundlage, die auf ein ideales Reich von Werten rekurriert, zu dem man nur durch ein eigenes Wertungsvermögen, das neben Verstand und Wille bei jedem Menschen vorhanden ist, gehört.
Den meisten heutigen Vielredner in Politik, Kultur, Gesellschaft und vor allem Medien sind diese Zusammenhänge natürlich nicht bewusst und sie würden in den meisten Fällen auch sicherlich keine wertethische Philosophie vertreten wollen. Im Hintergrund dieser zumeist unreflektierten Rede von „Werten“ steht ein rein subjektive Auffassung nach der jeder sich einen eigenen Wertekanon zurechtlegen kann und danach leben soll, ganz gleich, worin diese angeblichen „Werte“ dann bestehen. Man könnte dies gewissermaßen als ein Zusammenwerfen von Kantischer Pflichtethik und Wertethik bezeichnen, obwohl damit diesem Gerede vermutlich zu viel Ehre erwiesen wird.
Die Bezugnahme auf Aristoteles in dem oben zitierten Artikel ist nicht richtig. Aristoteles wie auch die aristotelische Scholastik haben mit einer Wertethik nichts gemeinsam. Ihre Grundlage ist eine objektive Wirklichkeit, nämlich die menschliche Natur und deren Zweckgerichtetheit, aus der sich alle „Werte“ ergeben. Doch handelt es sich bei der aristotelische Scholastik gerade nicht um Werte, sondern um eine Tugendethik, d.h. um Grundhaltungen des Menschen, die sich in allen konkreten Handlungen niederschlagen sollen. Diese Tugenden, - als Kardinaltugenden werden genannt Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung – ergeben sich für Aristoteles aus den menschlichen Vermögen und der Zielgerichtetheit der menschlichen Natur. Der Mensch als animal rationale oder zoon logon echon, als rationales Sinneswesen überragt alle anderen Sinneswesen durch den Verstand. Dadurch ist ihm eine umfassende und abstrakte begriffliche Erkenntnis möglich, mit der er das Gute erkennen kann. Derjenige, der um dieses Gute weiß und entsprechend handelt, ist klug.
Tugenden sind keine „Werte“ obgleich man sie durchaus in einem gewissen Sinne als Werte bezeichnen kann, allerdings müssen sie dann in die Naturrechtsethik zurückgebunden werden. Aus der Natur oder dem Wesen des Menschen ergeben sich bestimmte Verpflichtungen des Menschen, die mit daraus folgenden Rechten verbunden sind. In Anwendung auf die Diskussion über eine sogenannte Homo-Ehe ergibt sich z.B. folgender Zusammenhang: Wie jedes Vermögen des Menschen ist auch die Sexualität auf ein Ziel gerichtet und dieses Ziel ist offensichtlich die Fortpflanzung. Die damit verbundene Lust und Freude ist natürlich ebenso ziel- oder zweckgerichtet und dient dazu, sich möglichst oft fortzupflanzen, d.h. viele Kinder zu zeugen. Jede Ausübung der Sexualität außerhalb dieser Zweck- und Zielgerichtetheit widerspricht der Ordnung der menschlichen Natur und stellt einen Verstoß gegen das Naturrecht dar. Dazu gehört nicht nur die praktizierte Homosexualität, sondern Masturbation, Pornographie, Ehebruch (was natürlich eigens begründet werden muss) und jede Perversion (was ja eine Abweichung von der Zielbestimmtheit bedeutet). So wie ein Verstoß gegen die physikalischen und andere Naturgesetze schwerwiegende Folgen nach sich zieht, so führen auch gegen die menschliche Natur gerichtete Handlungen über kurz oder lang zu einer Verletzung der Natur des Menschen und zu seiner Entwürdigung.
In diesem Sinne ist die Sexualität nicht an sich ein Wert, sondern nur insofern, als sie in die Ganzheit der menschlichen Natur und seiner Fähigkeit zur Fortpflanzung eingebettet ist.
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