Je nach dem, welche philosophische Position von jemandem vertreten wird, wird der aristotelisch-thomistischen (A-T) Erkenntnistheorie einmal ein “naiver Realismus”, ein andermal eine repräsentationalistische Theorie der Erkenntnis unterstellt. Der Repräsentationalismus ist, ganz allgemein gesagt, die Auffassung, dass es mentale Repräsentationen gibt. Und in dieser allgemeinen Form ist es richtig, dass die aristotelisch-thomistische Philosophie zum Repräsentationalismus zu zählen ist. Allerdings versteht man unter dem Begriff Repräsentationalismus viel mehr als nur, dass es mentale Repräsentationen gibt. Dass es solche Repräsentationen gibt wird nämlich von fast niemanden, außer von sogenannten direkten Realisten bestritten, mit denen ich mich heute aber nicht beschäftigen möchte.
Der Repräsentationalismus geht im Wesentlichen zurück auf René Descartes und er verteidigt die Auffassung, dass wir einen Zugang zur Realität einzig und allein durch mentale Repräsentationen dieser Realität haben. Diese Auffassung ist in der Tat weit radikaler als die Auffassung, dass es mentale Repräsentationen gibt. Nach Descartes haben wir nämlich nie einen direkten Zugang zur Wirklichkeit. Wir erfassen gewissermaßen Abbilder in unserem Bewusstsein, die wir aber mit der Wirklichkeit, wie sie an sich ist, nicht vergleichen können, denn dazu müssten wir einen “Gottesstandpunkt” einnehmen, d.h. wir müssten aus dem, was uns die Repräsentationen zeigen heraustreten, anders gesagt, wir müssten aus unserem Bewusstsein heraustreten, um sie (die Repräsentationen) mit der Wirklichkeit zu vergleichen. Da dies aber nicht möglich ist, ergeben sich die Zweifel Descartes’ über die Existenz der Außenwelt, deren Lösung für ihn nur dadurch möglich ist, dass er zu der Überzeugung vom guten Gott kommt, der uns schon nicht betrügen wird. Descartes muss somit für seine Annahme, dass unsere Erkenntnis mit der Realität übereinstimmt, die Existenz Gottes voraussetzen. Dies ist für die aristotelisch-thomistische (A-T) Erkenntnistheorie nicht erforderlich.
Grundthese der A-T Theorie ist die Auffassung die Aristoteles so formuliert hat: “Das Erkennende im Akt und das Erkannte im Akt sind dasselbe”. Damit wird behauptet, dass der Akt des Erkennens und das aktual Erkannte identisch sind. Erkenntnis wird nämlich, im Unterschied zum klassischen Repräsentationalismus, als eine Beziehung verstanden, als Beziehung zwischen dem Erkennenden und dem, was er erkennt, dem Gegenstand. Diese Beziehung wird als intentionale Beziehung bezeichnet.
Nun ist diese Beziehung der Identität freilich nicht so zu verstehen, dass ich in dem Fall, dass ich eine bunte Ente sehe, selbst zur Ente werde, oder dass mein Bewusstsein zur Ente wird. Die Identität zwischen dem Gegenstand und dem Erkennenden besteht in der Form; die Wesensform der Ente, die in der Ente materiell instantiiert ist, ist im Geist immateriell instantiiert. Es ist aber ein und dieselbe Form, die einmal das ausmacht, was die Ente ist, nämlich eine Ente, die den Körper der Ente in-formiert, und die in immaterieller Weise im menschlichen Verstand ist, wenn dieser die Ente entweder aktual wahrnimmt oder sich in der Erinnerung vergegenwärtigt.
Doch wo ist hier eine Repräsentation? Die intentionale Erfassung eines Gegenstandes, d.h. die Erfassung der Wesenheit des Gegenstandes - denn die Wesenheit ist der primäre Gegenstand jeder Erkenntnis - ist keine Repräsentation desselben, denn im intentionalen Akt wird der Verstand mit der Wesenheit des Erkannten identisch und repräsentiert ihn nicht. Repräsentation geschieht auf der sinnlichen Ebene, bei der Erfassung der sinnlichen Daten im Akt der Wahrnehmung. Die sinnlichen Daten, die Farben, die Gestalt, der Geruch etc. der Ente werden von den jeweiligen Sinnen aufgenommen und es wird ein sinnliches “Bild” (im weiten Sinne, nicht optisch verstanden), eine “mentale Repräsentation” gebildet, die kausal mit dem äußeren Gegenstand verbunden ist und dieses “Bild” ist mit der Form des äußeren Gegenstandes identisch, d.h. mit seiner Gestalt, seiner Farbe, seinem Geruch etc. Doch ist dies ein sinnliches Bild, eine rein sinnliche Repräsentation eines einzelnen Gegenstandes. Bis hier her unterscheidet sich die menschliche Erkenntnis nicht von der aller höheren Tiere.
Erst im nächsten Schritt, der Abstraktion, kommt der Verstand ins Spiel und hier liegt der Abgrund zur Erkenntnis der Tiere, die nämlich keine Abstraktionsfähigkeit haben. Der Verstand abstrahiert aus dem sinnlichen Material der Sinne, das von einem bestimmten sinnlichen Vermögen zu einem Bild verdichtet wurde, alle unwesentlichen Bestandteile. Das Ergebnis ist dann die sogenannte “species”, deren Inhalt die allgemeine Form, die Wesensform des Gegenstandes ist, eben in unserem Beispiel die Ente und zwar das allgemeine Wesen der Ente, von der die von uns gerade wahrgenommene Ente eine bestimmte Instanz ist. Wenn ich nun an eine Ente denke, dann denke ich an diese abstrakte Form oder anders gesagt, an den Begriff der Ente.
Diese Species ist allerdings keine Repräsentation der Ente; sie ist das Wesen der Ente selbst, die Form, die in jeder konkreten Ente gegenwärtig ist und zwar in materieller Instantiierung im Unterschied zur immateriellen Form, wie sie im Verstand ist. Es ist aber ein und dieselbe Form und ein Zweifel über die Existenz der Ente kann hier gar nicht entstehen, weil diese Wesensform gar nicht in meinem Verstand sein könnte, wenn sie nicht zuvor durch die Wahrnehmung in den Verstand aufgenommen wurde. Es kann höchstens einen Zweifel geben, ob diese Ente, die ich gerade zu sehen glaube, wirklich eine Ente ist oder nicht viel eher ein Huhn, aber dass es Enten wirklich und unabhängig von unserer Erkenntnis gibt, ist gewiss.
Lieber Scholastiker
AntwortenLöschenin welchem Verhältnis steht eigentlich die thomistische Erkenntnistheorie zu einem transzedentalphilosophischen Ansatz, wie ihn z.B. Karl Rahner in seiner erkenntnismetaphysischen Studie "Geist in Welt" vertritt?
Mit freundlichen Grüssen
E. A.
Der transzendentalphilosophische Ansatz in der Erkenntnistheorie geht zurück auf Immanuel Kant und seiner Kritik der reinen Vernunft. Dieser Ansatz hat völlig andere Voraussetzungen, denn er fragt nicht "was ist Erkenntnis", sondern er fragt nach den "Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis". Dabei denkt Kant, dass diese Frage grundsätzlicher ist, weil wir nicht wissen können, was Erkenntnis ist, ohne zuvor geklärt zu haben, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Erkenntnis überhaupt möglich ist. Bei Kant heißt dies: „Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern diese a priori möglich sein soll, überhaupt beschäftigt.“ Es geht also um Erkenntnisbedingungen "vor jeder Wahrnehmung und Erfahrung", d.h. a priori. Dies führt zu einer radikalen subjektivistischen Wende in der Erkenntnistheorie. Wir erkenen z.B. Dinge als ausgedehnt, weil unser Verstand so verfasst ist, dass er alle sinnlichen Daten zu ausgedehnten Dingen gestaltet.
LöschenKarl Rahner und andere Philosophen und Theologen versuchten, den Kantischen Ansatz mit der Philosophie des Aquinaten zu verbinden und nannten diesen Ansatz dann "Transzendentalthomismus". Allerdings hat diese Philosophie mit Thomas von Aquin kaum mehr als den Namen gemeinsam und ist sehr stark von Kant und der Transzendentalphilosophie geprägt. Sie gründet in einem Idealismus, den Thomas mit Entschiedenheit zurückgewiesen hätte.
Vielen Dank für Ihre erhellende Antwort.
AntwortenLöschenIhr E. A.