Wenn jemand davon überzeugt ist, das etwas der Fall ist und er rationale Gründe für diese seine Überzeugung anführen kann, dann wird er behaupten, dass er wisse, dass dies der Fall ist. Dementsprechend wird in der Gegenwartsphilosophie Wissen definiert als wahre, gerechtfertigte Überzeugung. Doch gegen diese Definition wurden verschiedene Einwände erhoben, von denen das sogenannte Gettier-Problem das bekannteste und wichtigste ist. Das Problem wird benannt nach dem Philosophen Edmund Gettier. Er hat argumentiert, dass die Bedingungen für Wissen, nämlich die Wahrheit der Überzeugung und die Rechtfertigung für die Überzeugung nicht hinreichend sind, um von Wissen zu sprechen.
Wenn jemand eine wahre Überzeugung kennt, die er von einer anderen Person, z.B. seiner Mutter oder seinem Lehrer gehört hat, wiedergibt, so handelt es sich dabei noch nicht um Wissen, denn er plappert unter Umständen das Gehörte nur nach, ohne den Grund für diese wahre Überzeugung angeben zu können. Damit man von Wissen sprechen kann, muss eine Überzeugung nicht nur wahr, sondern auch begründet sein. Dies scheint einleuchtend.
Edmund Gettier hat nun Fälle angeführt aus denen deutlich wird, dass auch im Falle dass jemand eine wahre und gerechtfertigte Überzeugung hat, er dennoch kein Wissen hat. Trifft dies zu, dann sind die Wahrheit und die Begründetheit der Überzeugung zwar notwendig, um von Wissen zu sprechen, aber nicht hinreichend. Gettier nennt mehrere solcher Beispiele, von denen wir nur eines auswählen:
Smith und Jones bewerben sich um eine Stelle in einem Unternehmen. Smith glaubt mit guten Gründen, dass Jones den Posten bekommen wird (z.B. hat der Chef bereits eine Andeutung in diese Richtung gemacht). Außerdem glaubt Smith mit guten Gründen (z.B. weil er dies gesehen hat), dass Jones zehn Münze in seiner Tasche hat. Daher kommt Smith zu dem Schluss, dass derjenige die Stelle bekommt, der zehn Münzen in der Tasche hat. Dies ergibt sich wohlbegründet aus den beschriebenen Sachverhalten. Nun bekommt aber nicht Jones, sondern Smith den Job, obwohl Smith davon noch nichts weiß. Zufällig hat nun auch Smith zehn Münzen in seiner Tasche (freilich ohne das ihm dies bewusst ist), so dass die Überzeugung, dass derjenige, der zehn Münzen in der Tasche hat, die Stelle bekommt, richtig ist. Smith hat folglich eine wahre und gerechtfertigte Überzeugung obwohl man nicht sagen kann, dass Smith weiß, dass derjenige die Stelle bekommt, der zehn Münzen in der Tasche hat. Daraus folgt für Gettier, dass die genannten Bedingungen für Wissen - wahre, gerechtfertigte Überzeugung - nicht hinreichend sind, um als Wissen zu gelten.
Sie werden nun einwenden, dass dies ziemlich konstruiert erscheint und Sie haben sicher recht. Gettier nennt weitere Fälle, die zu dem gleichen Ergebnis kommen und alle diese Fälle sind ähnlich konstruiert. Es soll mit den Fällen aber auch nicht behauptet werden, dass es kein Wissen in dem Sinne gibt, wie er in der Definition bestimmt wird; in den meisten Fällen kann man durchaus von Wissen sprechen, wenn die Bedingungen in der Definition erfüllt sind. Es geht Gettier und anderen darum zu zeigen, dass die Definition des Wissens nicht hinreichend ist, um von Wissen zu sprechen.
Was kann die aristotelisch-scholastische Philosophie zu dieser Debatte beitragen? Gibt es eine klassische Definition des Wissens? Die gibt es in der Tat und ich möchte diese hier kurz vorstellen, auch wenn sie sich nicht wesentlich von der bereits zuvor dargestellten Definition unterscheidet.
In einem ganz allgemeinen und weiten Sinne kann man von Wissen sprechen, wenn jemand eine Erkenntnis besitzt, ob diese nun sicher, ungewiss oder nur wahrscheinlich ist und ob sie durch eigene Einsicht gewonnen wurde oder nur angelernt ist. In einem engeren Sinne spricht man von Wissen, wenn die Erkenntnis sicher ist, ob nun durch eigene Einsicht, oder durch eine zuverlässige Person vermittelt. Vielleicht der größte Teil unseres Wissen beruht auf solchen Erkenntnissen, - Wissen durch Bekanntschaft, wie es auch genannt wird - die wir von anderen Personen oder z.B. aus dem Fernsehen haben. Man kann kaum ernsthaft bestreiten, dass es sich hierbei um Wissen handelt, auch wenn dieses Wissen nicht durch eigene Untersuchungen wohl begründet werden kann. Man kann nur sagen, dass die Person p im allgemeinen sehr zuverlässig ist und nicht dafür bekannt, dass sie schwindelt und dass man deshalb dieser Person glauben kann.
In einem strengen Sinne kann man allerdings nur dann von Wissen sprechen - und dies ist tatsächlich Wissen im eigentlichen Sinne - wenn man durch eigene Einsicht und sicherer Beweisführung zu einer Erkenntnis gelangt ist. Und dies bedeutet, mit anderen Worten, dass Wissen im eigentlichen und strengen Sinn - Wissen im Sinne der Wissenschaft - eine durch eigene Einsicht gewonnene, sicher begründete Erkenntnis ist. Und dies entspricht in etwa der oben genannten Definition des Wissens. Stellt man nicht die geradezu unerfüllbaren Ansprüche an Wissen, wie Gettier dies tut, dann reicht diese Definition des Wissens aus, um darauf Wissenschaft zu gründen.
Lieber Scholastiker,
AntwortenLöschenirgendwie lässt mir dieser Artikel keine Ruhe - und immer mal wieder schaue ich kurz nach, ob nicht jemand einen Kommentar dazu veröffentlicht hat - und wundere mich, dass nicht ...
Sicher haben Sie von den Gettier-Beispielen ein repräsentatives ausgewählt. Und erwähnen ja selbst, dass dieses Beispiel ziemlich konstruiert erscheinen könne.
Was mir einfach nicht in den Kopf will, ist, dass Gettier in diesem Beispiel einen Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein von Münzen in einer Tasche und dem Erhalten eines Jobs herstellt. Landläufig würde ich das schlicht und ergreifend als abergläubisch bezeichnen. Umso mehr sträuben sich mir die Nackenhaare, wenn es auch noch als Beispiel für eine "gerechtgertigte Überzeugung" bemüht wird.
Das sagt einem doch bereits der (ebenso viel bemühte, oft strapazierte - ich weiß ...) gesunde Menschenverstand, dass eine solche Überzeugung alles andere als zu "rechtfertigen" ist.
Naja, nix für ungut, aber der Laie, der hier ab und zu gerne seine Nase reinsteckt, wagt es in diesem Fall, sich schlicht und ergreifend über Herrn Gettier zu wundern. Und falls das nicht ganz zu unrecht geschehen sollte, bräuchte ich mich natürlich nicht zu wundern, wenn Fachleute, die sicher genauso gerne ihre Nasen in Ihren schönen Blog stecken, nur wissend und leise schmunzelnd mit "nicht einmal ignorieren" auf solche Konstruktionen reagieren.
Beste Grüße,
Iris