Die Theorie der Naturgesetze, die in der Neuzeit ihren
Ursprung hat, hatte zunächst und ursprünglich einen theologischen Hintergrund.
Freilich ist dieser den meisten heutigen Wissenschaftstheoretikern kaum
bekannt. Der neuzeitliche Begriff der Materie, der sich grundsätzlich von dem
mittelalterlich-scholastischen Begriff unterscheidet, versteht die Materie als
vollständig passiv. Einige Philosophen kamen deshalb zu der Auffassung, dass
die Quelle aller Tätigkeit der Materie eine göttliche Verfügung ist. Daher
wurden Naturgesetze interpretiert als Beschreibungen wie die Welt unter der
Voraussetzung dieser göttlichen Anordnungen tätig ist. Heute werden freilich
Naturgesetze völlig unabhängig von einer göttlichen Anordnung verstanden, doch
es ist eine offene Frage, ob dies tatsächlich möglich ist, wenn man die
aristotelisch-scholastische Analyse der Vermögen und kausalen Kräfte
bestreitet.
Zumindest kann man nicht erklären, wie nicht-theologisch
verstandene Naturgesetze plausibel kausale Vermögen ersetzen können. Die Frage
stellt sich nämlich, was ein
Naturgesetz ist, wenn es keine göttliche Anordnung ist? Freilich muss ein
Naturwissenschaftler nicht die Frage nach dem Wesen der Naturgesetze beantworten,
allerdings ein Wissenschaftstheoretiker sollte diese Frage nicht übergehen. Es
gibt vier unterschiedliche Antworten auf diese Frage. Der Empirist behauptet,
dass Naturgesetze nichts anderes als bestimmte Regularitäten sind, die sich bei
der Beobachtung von Naturvorgängen finden. Trifft dies zu, dann ist aber ein
Naturgesetz nichts, dass irgendetwas erklärt.
Wenn wir wissen wollen, warum gerade diese Regularität in der Natur besteht und
keine andere, hat der Empirist darauf keine Antwort. Ein Philosoph hingegen,
der kausale Vermögen und Kräfte annimmt, hat, im Gegensatz zum Empiristen,
durchaus eine Erklärung für diese Frage. Naturgesetze sind „pleiotrope“ oder „vectorähnliche“
Manifestationen von Kräften, die Dingen aufgrund ihrer Wesenheit zukommen.
Eine weitere Antwort auf die Frage, was Naturgesetze sind,
besteht in einer instrumentellen (anstatt realistischen) Interpretation der
Gesetze. Gesetze sind demnach nur brauchbare Werkzeuge, mit denen man
Vorhersagen treffen und Technologien entwickeln kann. Doch das ist keine
wirkliche Antwort, denn wir könnten sofort nachfragen, warum Gesetze solche
brauchbaren Werkzeuge sind, wenn sie gar nicht wirklich existieren?
Eine realistische Alternative besteht in der Theorie, dass
Gesetze Relationen zwischen Universalien, also allgemeinen Eigenschaften sind.
Diese Auffassung wird z.B. von Dretske und David Armstrong (der im vergangenen
Monat verstorben ist) verteidigt. Bei diesem Ansatz werden kausale Kräfte und
Vermögen für die Erklärung vermieden. Die Dinge der Welt sind in einer
geordneten Weise miteinander verbunden, weil es sich bei ihnen um Instanzen von
Universalien handelt, die in einer parallelen Weise miteinander verbunden sind.
Wenn man diese Theorie in einer platonischen Art und Weise versteht, dann sind
die Naturgesetze selbst nicht Teil der realen, raumzeitlichen Welt und damit
stellt sich aber die Frage, wie sie dann auf diese raumzeitliche Welt einwirken
können. Armstrong hat das erkannt und will deshalb die Naturgesetze nicht in
einer platonischen Art und Weise verstanden wissen, sondern in einer
aristotelischen Weise. Dies bedeutet dann aber, dass die Gesetze in ihrer
Existenz von der Existenz ihrer Instanzen, ihrer Vorkommnisse in der Welt
abhängig sind. Dann aber können die Naturgesetze keine Erklärung dieser
Vorkommnisse in der Welt sein.
Gegenwärtige Philosophen, die kausale Kräfte und Vermögen
(powers) in ihrer Theorie berücksichtigen, haben eine vierte Antwort auf die
Frage gegeben, was ein Naturgesetz ist. Brain Ellis, ein Vertreter dieser
neoaristotelischen Richtung in der Wissenschaftstheorie, vertritt die
Auffassung, dass Naturgesetze eine Angelegenheit von natürlichen Arten sind,
die eine Wesenseigenschaft haben. Ein Kausalgesetz ist dementsprechend eine
natürliche Art, die wesentlich eine bestimmte Dispositionseigenschaft oder ein
kausales Vermögen besitzt. Dabei werden Naturgesetze als in einem strengen
Sinne notwendig bezeichnet, d.h. als metaphysisch notwendig, was allerdings
nicht unproblematisch ist.
Scholastische Autoren haben deshalb eine Definition von
Naturgesetzen gegeben, die diese strenge Notwendigkeit der Gesetze vermeidet.
So könnte man Naturgesetze definieren als (1) „eine intrinsische Tendenz eines
natürlichen Körpers, eine bestimmte Wirkung entsprechend seiner Natur und in
einer bestimmten, einheitlichen und messbaren oder sonst bestimmbaren Weise hervorzubringen“.
Und (2) als wissenschaftlichen oder mathematischen Ausdruck dieser konstanten
Weise, in der ein Körper tätig ist“. (siehe z.B. Wuellner 1956)
David Oderberg hat in seinem hervorragenden Werk Real Essentialism den Satz geprägt, dass
Naturgesetze Gesetze der Naturen sind, d.h. Gesetze, wie sich die Dinge
entsprechend ihrer Natur, d.h. ihrer Wesenheit verhalten.
Deutlich wird bei all dem jedenfalls, dass Naturgesetze,
bzw. Kausalgesetze keineswegs kausale Vermögen ersetzen können, dass vielmehr
diese Gesetze kausale Vermögen und Kräfte, Dispositionen oder, um einen
scholastischen Ausdruck zu verwenden, Potenzen voraussetzen.
Mehr und ausführlicheres zum Thema in: Edward Feser:Scholastic Metaphysics, S. 69-72.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen