Mittwoch, 10. Januar 2018

"Die fünf Wege" Thomas von Aquins: 2. Teil: Der Kausalbeweis

Mit Erlaubnis des Autors veröffentlichen wir in diesem Blog eine Artikelreihe zu den Gottesbeweisen Thomas von Aquins, die in der theologischen Zeitschrift THEOLOGISCHES erschienen ist. Bisher sind vier Beiträge erschienen. Wir werden diese in den kommenden Tagen und Wochen hier im Blog veröffentlichen. Der erste Gottesbeweis ist am 12. Dezember erschienen. Heute veröffentlichen wir den "zweiten Weg", den Beweis aus der Kausalität.






Der zweite Gottesbeweis Thomas von Aquins in der Summa theologiae, der auch als Kausalbeweis bezeichnet wird, da er die effiziente Kausalität in den Mittelpunkt der Argumentation stellt, hört sich sehr ähnlich an, wie der erste Beweis. Dies hat zu einer langen Diskussion über die Frage geführt, worin denn der wesentliche Unterschied beider Argumente besteht, sofern es einen solchen Unterschied überhaupt gibt. Der „erste Weg“ geht aus von der Bewegung, bzw. der Veränderung der Dinge, während der „zweite Weg“ von der Kausalität ausgeht. Allerdings wird die Veränderung der Dinge auch durch die Kausalität erklärt. Gleichwohl muss es einen deutlichen Unterschied geben, denn man wird Thomas wohl kaum unterstellen wollen, dass er zweimal mehr oder weniger das Gleiche sagen wollte. Im Verlauf der Geschichte wurden daher verschiedene Vorschläge zur Lösung dieser Frage gemacht. Inzwischen scheint sich die Lösung durchgesetzt zu haben, die meines Wissens erstmals von dem französischen Thomisten Etienne Gilson vorgeschlagen wurde. Erst vor Kurzem wurde dazu eine ausführliche Studie vorgelegt, die diese These untermauert (S. Kerr 2015; vgl. auch Edward Feser 2009, 83f.) Gilson und Kerr, wie auch andere, bringen den zweiten Weg Thomas von Aquins in Zusammenhang mit dem Gottesbeweis in der Frühschrift des Aquinaten De Ente et Essentia. Es ist kaum denkbar, so argumentieren diese Autoren meiner Meinung nach richtig, dass Thomas in der Summa die fünf Wege zum Beweis Gottes vorstellt, ohne dass er dabei Bezug nimmt zu seinem Gottesbeweis, den er bereits viele Jahre zuvor entwickelt hatte. Aber auch abgesehen von diesem ad hominem Argument gibt es sachliche Gründe, beide Argumente zusammenzunehmen, denn auf dieser Grundlage ergibt sich eine schlüssige Argumentation.

Kurz zusammengefasst argumentiert Gilson, dass der erste Weg erklärt, warum die Dinge sich verändern, während der zweite Weg zu erklären versucht, warum es die Dinge überhaupt gibt. Deshalb könnte man den zweite Weg auch als Existenzbeweis bezeichnen. Demnach versucht Thomas im ersten Weg verständlich zu machen, warum die Dinge sich hier und jetzt verändern, während er im zweiten Weg dafür argumentiert, dass hier und jetzt nichts existieren könnte, wenn Gott es nicht verursacht. Lesen wir zunächst einmal den zweiten Weg in voller Länge:

Der zweite Weg geht vom Gedanken der Wirkursache aus. Wir stellen nämlich fest, dass es in der sichtbaren Welt eine Über- und Unterordnung von Wirkursachen gibt; dabei ist es niemals festgestellt worden und es ist auch nicht möglich, dass etwas seine eigene Wirk- und Entstehungsursache ist. Denn dann müsste es sich selbst im Sein vorausgehen, und das ist unmöglich. Es ist aber ebenso unmöglich, in der Über- und Unterordnung von Wirkursachen ins Unendliche zu gehen, sowohl nach oben als nach unten. Denn in dieser Ordnung von Wirkursachen ist das Erste die Ursache des Mittleren und das Mittlere die Ursache des Letzten, ob nun viele Zwischenglieder sind oder nur eines. Mit der Ursache aber fällt auch die Wirkung. Gibt es also kein Erstes in dieser Ordnung, dann kann es auch kein Letztes oder Mittleres geben. Lassen wir die Reihe der Ursachen aber ins Unendliche gehen, dann kommen wir nie zu einer ersten Ursache und so werden wir weder eine letzte Wirkung noch Mittel-Ursachen haben. Das widerspricht aber den offenkundigen Tatsachen. Wir müssen also notwendig eine erste Wirk- oder Entstehungsursache annehmen: und die wird von allen „Gott“ genannt.

Die Prämissen des Arguments sind einfach. Wie schon beim ersten Argument geht Thomas von der sinnlichen Erfahrung aus, nämlich davon, dass wir Kausalbeziehungen wahrnehmen können. Damit widerspricht er allerdings sowohl David Hume, als auch Immanuel Kant. Die ganze Argumentation Humes gegen Kausalität beruht auf der empiristischen Voraussetzung, dass wir nur bestimmte Ereignisse wahrnehmen, von denen eines früher und das andere später ist. Da wir wahrnehmen, dass zwei bestimmte Ereignisse häufig aufeinander folgen, sind wir geneigt, so Hume, sie als Kausalbeziehung anzusehen. Nach Hume lässt sich aber keine Relation wahrnehmen. Kant hat diese Voraussetzungen geteilt und das Problem dadurch zu umgehen versucht, dass er Kausalität als synthetisches Apriori analysiert, was aber zur Folge hat, dass es die Kausalbeziehung letztlich nur in unserem Bewusstsein gibt. Humes Argumentation gegen Kausalität beruht auf einem sehr engen Begriff der Wahrnehmung, nach der wir nur Sinnesdaten erfassen können, was bei Thomas in etwa dem sensus communis entspricht, der sich auch bei Tieren findet. Mit Hilfe der vis cogitativa (bei Tieren der vis aetimativa) geht die menschliche Wahrnehmung aber deutlich darüber hinaus und insofern hat man als Thomist Argumente gegen die Wahrnehmungstheorie sowohl Humes, als auch Kants (vgl. Anthony Lisska 2016, 237-272)

Die zweite Prämisse im Argument des hl. Thomas behauptet, dass nichts sich selbst verursacht haben kann. Das gilt übrigens auch von Gott, denn im Unterschied z.B. zu Spinoza und anderen neuzeitlichen Denkern ist Thomas nicht der Auffassung, dass Gott causa sui, Ursache seiner selbst ist. Dass etwas nicht seine eigne Wirk- oder Enstehungsursache sein kann, wird von Thomas logisch begründet. Denn etwas, dass sich selbst hervorbringt, muss bereits existiert haben, bevor es sich selbst hervorbringt, was selbstwidersprüchlich ist. Anschließend greift Thomas das Argument auf, dass ich bereits beim ersten Gottesbeweis vorgestellt habe und das auf der Unterscheidung zweier Ursachenarten beruht, nämlich der causa per accidens und der causa per se. Während es durchaus denkbar ist, dass die cause per accidens bis ins Unendliche zurückgeht, ist dies bei der cause per se nicht denkbar, denn bei Letzterer sind Ursache und Wirkung simultan. Um Thomas‘ eigenes Beispiel noch einmal aufzugreifen: der Stein bewegt sich nur deshalb und solange, wie der Stab, der ihn bewegt, bewegt wird und der Stab bewegt sich ebenfalls nur, solange der Arm ihn bewegt. „Gibt es also kein Erstes in dieser Ordnung, dann kann es auch kein Letztes oder Mittleres geben.“ Hier aber geht es nicht um die Bewegung, sondern – um die Existenz einer Entität. Ohne diese Annahme, dass Thomas hier die Existenz einer beliebigen Entität zu erklären versucht, erscheint das Argument in der Tat unverständlich oder redundant. Was Thomas nach meiner Interpretation hier sagen will, ist, dass die Existenz jeder beliebigen Entität hier und jetzt nur dadurch verständlich gemacht werden kann, dass sie in diesem Augenblick von einer ersten Ursache verursacht wird. Es geht nicht um den Anfang irgendeiner Entität, obwohl dieser Anfang im Argument ebenfalls impliziert ist, sondern, wie schon beim ersten Argument, um die Existenz einer Entität hier und jetzt. Das ich in diesem Augenblick hier sitze und schreibe ist sowohl hinsichtlich meiner Existenz – dass ich überhaupt bin – als auch hinsichtlich meiner Tätigkeit, aktuell von Gott verursacht. Dies schließt die Zweitursachen selbstverständlich nicht aus, denn Thomas ist kein Okkasionalist. Aber alle Zweitursachen, wie meine Eltern, die mich gezeugt und geboren haben, setzen eine Erstursache voraus und diese Erstursache ist allein Gott.

Gegen diesen Gottesbeweis wurden verschiedene Einwände vorgebracht, von denen ich die wichtigsten kurz vorstellen und widerlegen möchte. Ein geradezu primitiver Einwand, der durch eine völlige Unkenntnis der Argumente Thomas von Aquins gekennzeichnet ist, stammt von Bertrand Russell, der in seiner „Philosophie des Abendlandes“, für die er sogar den Literatur-Nobelpreis erhielt, schreibt, dass dann, wenn alles eine Ursache hat, auch Gott eine Ursache haben müsse. Noch erstaunlicher (oder vielleicht auch nicht?) ist die Tatsache, dass ein deutscher Lehrstuhlinhaber für Fundamentaltheologie diesen Einwand nicht nur wiederholt, sondern sogar ernst nimmt (vgl. Armin Kreiner 2013, 335). Dies zeigt mit geradezu drastischer Deutlichkeit, wozu die Ablehnung der scholastischen Philosophie seit den 1960er Jahren in der Theologie inzwischen geführt hat. Der Einwand Russells ist schon deshalb völlig unhaltbar, weil weder Thomas von Aquin, noch irgendein anderer theistischer Philosoph, wie z.B. Leibniz, jemals behauptet hat, dass alles eine Ursache hat. Thomas argumentiert, wie man weiter oben nachlesen kann, dass alles, was einen zeitlichen Anfang an, also auch nicht sein könnte und einmal nicht war, eine Ursache haben muss, durch die es existiert.

Die meisten Argumente gegen den zweiten Gottesbeweis richten sich, wie schon zuvor erwähnt, gegen die thomistische Kausaltheorie. Diese Argumente beziehen sich zumeist auf die Kausalskepsis David Humes oder auf Immanuel Kants Argumentation gegen Gottesbeweise. Gegen diese Argumente habe ich weiter oben bereits Stellung bezogen. Selbst für den Fall, dass es zutreffen sollte, dass unser Wissen über das Kausalprinzip allein auf Sinnesdaten beruht, folgt daraus nicht, dass dieses Wissen nicht auch außerhalb der Sinnesdaten, in der realen Welt, Anwendung finden kann. Das Kausalprinzip ist auf die realen Dinge nicht deshalb anwendbar, weil sie sinnlich sind, sondern insofern sie existieren. Ein sinnlicher Gegenstand hat nicht deshalb eine Ursache, weil er ein sinnlicher Gegenstand ist, sondern weil er ein Gegenstand ist, der aus Wesenheit und Existenz zusammengesetzt ist und weil es etwas geben muss, dass diese Zusammensetzung verursacht. Der Begriff der Existenz ist schließlich nicht identisch mit dem Begriff eines sinnlichen Gegenstandes. Deshalb ist es kein Argument zu behaupten, dass man das Kausalprinzip nicht auf Dinge anwenden kann, die keine sinnlichen Dinge sind.

Ein anderes Argument gegen den zweiten Gottesbeweis behauptet, Thomas falle bei seinem Argument in den sogenannten „Trugschluss der Komposition“, einem bekannten logischen Fehlschluss. Dieser Fehlschluss lässt sich an folgendem Beispiel verdeutlichen, ein Beispiel übrigens, dass sich bei einigen physikalistisch gesinnten Materialisten tatsächlich findet: Wenn alle Atome farblos sind und diese Rose aus Atomen besteht, dann ist diese Rose farblos. Das Argument ist natürlich falsch, denn wenn alles aus Atomen besteht und Atome farblos sind, bedeutet das nicht, dass auch die Zusammensetzung farblos sein muss. Durch die Zusammensetzung können neue Eigenschaften hinzukommen. In Bezug zum Argument Thomas‘ angewendet bedeutet dies: Wenn jedes Ding im Universum eine Ursache benötigt um zu existieren, dann muss dies nicht bedeuten, dass auch das Universum als Ganzes eine Ursache seiner Existenz benötigt. In Bezug auf den Gottesbeweis Thomas von Aquins ist dieses Argument allerdings wenig überzeugend. Der Trugschluss der Komposition ist zunächst nicht in jedem Fall anwendbar, wo es um ein Teil-Ganzes-Verhältnis geht. Denn wenn z.B. jeder Stein einer Mauer rot ist, dann ist auch die Mauer als ganze rot. Ähnlich verhält es sich beim Universum und seinen Teilen. Da alle materiellen Dinge im Universum aus Wesenheit und Existenz zusammengesetzt sind und das Universum als Ganzes auch ein materieller Gegenstand ist, muss auch für das Universum als Ganzes gelten, dass es eine Ursache benötigt, durch die die Wesenheit mit der Existenz verbunden wird. Außerdem würde es keine Schwächung des Gottesbeweises bedeuten, wenn man nur behauptet, dass die Dinge im Universum, die aus Wesenheit und Existenz zusammengesetzt sind, von Gott verursacht werden und wenn man das Universum als Ganzes nur so betrachtet, dass es aus diesen materiellen Dinge besteht, d.h., dass man das Universum nicht als eine eigene Entität neben den Dingen in ihm beschreibt.

Wie zuvor erwähnt, steht der „zweite Weg“ meines Erachtens in einem Zusammenhang mit dem Gottesbeweis in De Ente et Essentia. Dieser frühere Gottesbeweis hebt direkt ab auf den von Thomas postulierten realen Unterschied von Wesenheit und Existenz. Thomas beantwortet in dieser Schrift die Frage, wie etwas in die Existenz kommt. Da alles Existierende aus Wesenheit und Existenz zusammengesetzt ist, kann man die Frage auch so formulieren: Was bewirkt, dass Wesenheit und Existenz in einer Entität zusammengebracht werden? Gefragt wird damit nach einer Wirkursache für die Zusammensetzung von Wesenheit und Existenz. Die Wesenheit einer Entität kann nicht selbst diese gesuchte Ursache sein, denn die Wesenheit als solche ist nur potenziell und nichts bloß Potenzielles kann sich selbst aktualisieren. Hier kommt der Satz aus dem zweiten Weg zur Anwendung: „Denn dann müsste es sich selbst im Sein vorausgehen, und das ist unmöglich.“ Deshalb ist es für alle Entitäten, deren Wesenheit von ihrer Existenz verschieden ist, notwendig, dass sie ihre Existenz von etwas anderem erhalten. Eine kausale Reihe, bei der eine Entität ihre Existenz von einer anderen Entität erhält, kann nicht ins Unendliche zurückgehen, denn dann würde gar nichts existieren. Das heißt, diese Kausalreihe ist eine solche per se. Daraus folgt, dass es etwas geben muss, dass die Existenz aller Dinge verursacht und das selbst nicht wieder aus Wesenheit und Existenz zusammengesetzt ist, sondern dessen Wesenheit seine Existenz ist. Ein solches „etwas“ aber „nennen alle Gott“. Und da die Wesenheit von der Existenz immer real verschieden ist, auch nachdem Wesenheit und Existenz miteinander verbunden sind, muss Gott die Wesenheit zu jedem Zeitpunkt der Existenz einer Entität mit dessen Existenz verbinden. Gott ist somit die erste Ursache dafür, dass diese bestimmte Entität, z.B. ich selbst, hier und jetzt existiert.

Der amerikanischen Religionsphilosophen William Lane Craig (1980) hat zwei Argumente gegen diese Interpretation des zweiten Weges als Wiederaufnahme des Gottesbeweises in De Ente et Essentia vorgetragen, die ich nicht unerwähnt lassen möchte. Zunächst behauptet Craig, dass Thomas im zweiten Weg Kausalketten zum Ausgangspunkt seiner Interpretation verwendet, die für unsere Sinne zugänglich sind. In der Frühschrift hingegen spricht Thomas von einer Kausalität, die für unsere Sinne unzugänglich ist, denn die kausale Verbindung von Wesenheit und Existenz kann nicht beobachtet werden. Das zweite Argument gegen die von Gilson, Feser, Kerr und anderen favorisierte Interpretation des zweiten Weges als Wiederaufnahme des Gottesbeweises in De Ente et Essentia lautet, dass nach der Lehre Thomas von Aquins ausschließlich Gott in der Lage ist, Wesenheit und Existenz miteinander zu verbinden, so dass die Frage nach einer Kausalkette, wie sie im zweiten Weg thematisiert wird, hier erst gar nicht aufkommen kann, weil im Falle der Verbindung von Wesenheit und Existenz die Tätigkeit Gottes direkt sein muss und nicht über den Umweg über Zweitursachen geschieht. Dementsprechend muss der zweite Weg Thomas von Aquins nach Craig in der Weise interpretiert werden, dass ein Ding hier und jetzt ein anderes Ding hier und jetzt verursacht, ganz ähnlich wie meine Existenz hier und jetzt abhängig ist von der Erdtemperatur und der Atmosphäre auf der Erde, die wiederum abhängig ist von dem Abstand der Erde zur Sonne usw. (E. Feser 2009, 86).

Allerdings wurden beiden Einwände Craigs widerlegt (ibid.). Ganz allgemein kann man, wie schon gesagt, zunächst annehmen, dass es eher seltsam wäre, wenn Thomas in der Summa ein Argument einfach weglassen würde, das er in seiner Frühschrift entwickelt hat und dies gerade angesichts der zentralen Bedeutung des realen Unterschieds von Wesenheit und Existenz in der Philosophie des Aquinaten. Und dass der zweite Weg in der Summa eine deutliche Ähnlichkeit mit dem Gottesbeweis in De Ente et Essentia hat, dürfte auch Craig zugestehen. Es ist nicht ganz richtig, wenn Craig behauptet, dass Thomas den Gottesbeweis in De Ente et Essentia nicht im Zusammenhang mit einer Kausalkette thematisiert. Denn immerhin sagt Thomas in dieser Schrift, dass die Erstursache für die Existenz eines Dinges notwendig ist, weil wir sonst die Reihe der Ursachen ins Unendliche fortsetzen müssten, was sich doch ganz ähnlich liest, wie der zweite Weg in der Summa. Möglicherweise hat Thomas die Kausalkette hier nur zum Zwecke des Arguments eingeführt, da Gott, wie gesagt, die Verbindung von Wesenheit und Existenz direkt bewirkt, doch dann gilt das Gleiche auch vom Gottesbeweis in seiner Frühschrift. Alle fünf Wege gehen von etwas aus, was den Sinnen gegeben ist. Dies gilt auch für den ersten Weg, den wir schon kennengelernt haben, und es gilt auch für den zweiten Weg. Aber so wie Thomas auch beim ersten Weg gleich danach zur metaphysischen Analyse übergeht, tut er dies auch beim zweiten Weg. Diese Vorgehensweise macht es dem Leser verständlicher, warum eine erste Ursache unver­ursacht sein muss.

Wie dem auch sei, es gibt m.E. keinen ernsthaften Einwand gegen den zweiten Weg für den Beweis Gottes. Alle mir bekannten Einwände beruhen entweder auf bestimmten Missverständnissen des Arguments oder sie sind eher schwach und lassen sich argumentativ widerlegen. Selbstverständlich muss man für die Anerkennung der thomistischen Gottesbeweise erhebliche metaphysische Voraussetzungen akzeptieren oder wie man heute sagt, eine Reihe „metaphysischer Verpflichtungen“ übernehmen, doch für welche Argumente gilt das nicht? Ich glaube, dass sich auch heute diese metaphysischen Voraussetzungen verteidigen lassen. In der Philosophie wie auch in anderen Wissenschaften gilt, dass eine Theorie entweder wahr ist oder nicht. Wenn sie wahr ist, dann ist sie auch 700 Jahre nach dem Tod eines Philosophen wahr. In diesem Sinne gibt es keinen Fortschritt in der Philosophie, was freilich nicht bedeutet, dass es überhaupt keinen philosophischen Fortschritt gibt.


Literatur

Craig, William Lane (1980): The Cosmological Argument from Plato to Leibniz. New York: Harper and Row.
Feser, Edward (2009): Aquinas. Oxford: Oneworld.
Kerr, Gaven (2015): Aquinas’s Way to God. The Proof in De Ente et Essentia. Oxford: Oxford University Press.
Lisska, Anthony J. (2016): Aquina’s Theory of Perception. An Analytic Reconstruction. Oxford: Oxford University Press.
Kreiner, Armin (2013): Glanz und Elend des kosmologischen Arguments In: Buchheim, Thomas et al. Hrsg. (2013): Gottesbeweise als Herausforderung für die moderne Vernunft. Tübingen: Mohr Siebeck.
Thomas von Aquin (1982): Summa theologica. Deutsch-lateinische Ausgabe. Band 1. Gottes Dasein und Wesen. Die Deutsche Thomas-Ausgabe. Graz, Wien, Köln: Styria.
Thomas von Aquin (31996): Die Gottesbeweise in der Summe gegen die Heiden und der Summe der Theologie. Lateinisch – Deutsch. Hrsg. von Horst Seidl, Hamburg: Felix Meiner.

Thomas von Aquin (1988): Über Seiendes und Wesenheit: De ente et essentia. Übersetzt und hrsg. von Horst Seidl. Hamburg: Felix Meiner.

 

Aus: THEOLOGISCHES. Katholische Monatsschrift, Jg. 47, 04/04 Mai/Juni 2017 von Dr. Rafael Hüntelmann 

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen