Donnerstag, 28. Juli 2011

Hierarchie des Seienden

Wohl kaum etwas anderes ist in der modernen, aufgeklärten Welt von heute so umstritten, wie die Annahme einer Hierarchie und Ordnung alles Seienden. In dem geradezu zwanghaften Versuch, alles gleich zu machen, stellen postmoderne Humanisten selbst Tiere über den Menschen. Auch in der modernen Philosophie und Metaphysik, besonders der analytischen Metaphysik, werden alle Unterschiede zwischen den Seienden, die auf eine hierarchische Ordnung hinweisen, nivelliert. Dabei ist schon dem gesunden Menschenverstand ganz offenbar, dass es eine gewisse Ordnung und Hierarchie der sichtbaren Schöpfung gibt, die bei der unbelebten Materie beginnt und bis zum vernunftbegabten Lebewesen hinaufgeht. Doch was ist das metaphysische Fundament dieser Ordnung?




Um eine hierarchische Ordnung des Seienden zu begründen muss es einen objektiven Maßstab für diese Ordnung geben. Selbstverständlich gibt es auch unterschiedliche subjektive Einteilungsmöglichkeiten, die jeweils verschiedene persönliche Präferenzen als Maßstab angeben. Doch solche Präferenzen sind nicht objektiv.

Auch die Evolutionstheorie hat einen gewissen Maßstab, nach dem sie eine Hierarchie der Lebewesen aufbaut. Dieser Maßstab ist das, was man in der Evolutionstheorie als „Komplexität“ bezeichnet. Als Prinzip gilt hier, dass je höher die Komplexität einer Art ist, desto später ist diese Art im evolutionären Prozess entstanden. Diese Ordnung ist allerdings, worauf der Evolutionsbiologe vermutlich Wert legt, „wertfrei“ und keine metaphysisch begründete hierarchische Ordnung. Sie sagt nur etwas über die zeitliche Abfolge der Entstehung der Lebewesen aus und das es Bakterien und Würmer früher gab als Menschen steht ja auch bereits im Schöpfungsbericht der Bibel.

Das Ordnungsprinzip der Metaphysik ist ein anderes. Da die Metaphysik die Wissenschaft vom Seienden als Seienden  ist (Aristoteles), d.h. die Wissenschaft, die alles, was es gibt nur insofern betrachtet und untersucht, als es seiend ist, muss auch das Ordnungsprinzip des Seienden vom Sein aus betrachtet werden. Das wirklich objektive Ordnungsprinzip für die hierarchische Ordnung aller Dinge ist das Sein, oder genauer gesagt, die „Seinsmächtigkeit“ des Seienden.

An der untersten Ebene gibt es „prima materia“, die Urmaterie oder erste Materie, die reine Möglichkeit ist, ohne jede Aktualität, ohne Wirklichkeit. Sein wird hier verstanden als Aktualität, als Wirklichkeit, was ja auch unserem Alltagsverständnis entspricht. Doch im Unterschied zur modernen Philosophie, die Sein und Existenz gleichsetzt und dann einen strikt univoken Seinsbegriff verteidigt, geht die aristotelische Scholastik von einem analogen Seinsbegriff aus. Dies bedeutet unter anderem, dass Sein, Wirklichsein, nicht immer gleiches bedeutet, sondern dass bestimmte Dinge „wirklicher“ sind als andere. Der Gegner dieser Auffassung wird einwenden: „Wie kann denn etwas wirklicher sein als etwas anderes?“ Warum ist ein Baum wirklicher als ein Farn? Warum soll eine Buche weniger wirklich sein als der Hund, der daran seine Duftmarke hinterlässt? Welches Kriterium gibt es dafür, etwas als „wirklicher“ zu bezeichnen als etwas anderes?

Die aristotelisch-scholastische Philosophie antwortet auf diese berechtigten Fragen mit dem Hinweis auf die Akt-Potenz-Theorie und der Theorie des Hylemorphismus. Die Erstmaterie, die materia prima ist nahezu am Rande des Nichts. Aus sich selbst hat sie keinerlei Möglichkeit, keine Potenz zu irgendetwas. Erst die Verbindung mit einer Form konstituiert ein Seiendes. Umso mehr jetzt sich ein Seiendes von dieser reinen Potentialität der Erstmaterie entfernt, desto wirkmächtiger ist sie. Die unbelebte Materie – Atome und Moleküle, Steine und Sand oder Berge und Bergketten, Seen, Flüsse und Meere – sind rein materielle Seiende, Seiende, deren Form ihnen nur eine bestimmte Gestalt verleiht und deren Wirkmächtigkeit sich in sehr engen Grenzen bewegt, z.B. darauf, anderen materiellen Körpern Widerstand entgegenzusetzen.

Anders sieht es bereits bei den Pflanzen und Tieren aus. Das Prinzip der Aktualität – die Form – befähigt die Pflanzen zum Leben, zum Wachstum, zur Vermehrung, zur Photosynthese, durch die sich die Pflanze in gewissem Umfang selbst im Sein erhält. Bei den Tieren wird diese Aktualität noch deutlich weiter gesteigert, so dass diese zur Selbstbewegung fähig sind, zur sinnlichen Wahrnehmung und vieles mehr. Bei den Tieren, insbesondere den höheren Tieren, wie den Säugetieren, kann man schon in einem engeren Sinne von einer Seele sprechen, auch wenn diese Seele – die Form des Tieres – ganz und gar in den Körper des Tieren eingesenkt ist und keinerlei Selbständigkeit gegenüber dem Körper hat.

Der Mensch als rationales Tier, als vernunftbegabtes Lebewesen, animal rationale verfügt darüber hinaus über einen Verstand, mit dem er begrifflich, abstrakt erkennen kann und freie, verantwortbare Willensentscheidungen trifft. Dass dies einen erheblich höheren Grad an Aktualität, an Wirklichkeit und also Wirksamkeit bedeutet, ist offensichtlich. Doch ist auch der Mensch aus Potenzialität und Aktualität, Akt und Potenz bzw. Form und Materie zusammengesetzt.

Ein Wesen, dass völlig frei von jeder Potentialität ist, das jede Potentialität bereits verwirklicht hat, ein Wesen somit, das reiner Akt ist, absolute Wirklichkeit, ein solches Wesen „nennen alle Gott“, wie bei Thomas von Aquin die fünf Gottesbeweise jeweils enden. Gott ist letztlich das absolute Maß der Wirklichkeit und so das Prinzip der Hierarchie des Seienden: Umso näher ein Seiendes Gott ist, desto „seiender“, wirklicher ist es. Und da unter allen sichtbaren Dingen der Mensch durch seinen Verstand Gott am nächsten ist, - denn durch den Verstand kann er Gott erkennen – ist der Mensch das wirklichste Seiende unter den sichtbaren Dingen.

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