Mittwoch, 25. Juli 2012

Die Unteilbarkeit der Substanz


Die 10. These der 24 Thesen zur Thomistischen Philosophie bezieht sich auf das Verhältnis von Substanz und Ausdehnung. Ein häufiges Missverständnis philosophischer Laien die das Wort „Substanz“ hören besteht darin, dieses mit dem Ding selbst zu identifizieren. Doch die Substanz im philosophischen Sinne – und dies gilt nicht nur für die aristotelisch-thomistische Philosophie – ist nicht „körperlich“, nicht ausgedehnt, selbst wenn es sich um eine körperliche bzw. materielle Substanz handelt.






Die 10 These lautet vollständig: „Auch wenn der körperlichen Natur die Ausdehnung in Teile, die die Vollständigkeit bedingen, folgt, ist das Substanz-Sein und das Quantum-Sein für den Körper doch nicht dasselbe. Denn die Substanz ist ihrem Begriff nach unteilbar, und zwar nicht nach Art eines Punktes, sondern nach Art dessen, was außerhalb der Ordnung der Ausdehnung ist. Die Quantität aber, die der Substanz Ausdehnung verleiht, unterscheidet sich real von der Substanz und ist ein Akzidenz im wahren Sinne des Wortes.“ 

Körperliche oder materielle Dinge sind ausgedehnt und sie bestehen aus Teilen. Ein Tisch hat eine Fläche die aus kontinuierlich aneinander liegenden Teilen besteht und Tischbeine. Diese Teile zusammen bilden das Ganze des Tisches. Ähnlich verhält sich auch bei organischen Substanzen wie Pflanzen und Tieren und natürlich auch beim Menschen. Die verschiedenen Teile eines Lebewesens bilden jeweils eine Ganzheit, die zerstört wird, wenn wesentliche Teile entfernt werden.

Die Ausdehnung oder Quantität eines Dinges, eines Seienden ist aber nicht identisch mit der Substanz, sondern es ist die Substanz, die ausgedehnt ist. Ausdehnung, oder allgemeiner, Quantität, ist eine Eigenschaft der Substanz und zwar eine Wesenseigenschaft. Dies bedeutet, dass es keine materielle Substanz gibt, die nicht ausgedehnt ist. Doch obwohl jede materielle Substanz ausgedehnt ist, ist die Substanz als solche nicht ausgedehnt. Das Ding, bzw. das Seiende und die Substanz sind nicht identisch.

Die Teile der Substanz, wie die verschiedenen Organe oder Gliedmaßen eines Tieres oder des Menschen sind Teile der Substanz, aber nicht die Substanz selbst. Die Substanz ist unteilbar und hat deshalb als solche keine Teile. Ausdrücklich wird in der 10. These gesagt, die Unteilbarkeit der Substanz sei nicht in dem Sinne zu verstehen wie die Unteilbarkeit des Punktes (im Sinne mathematischer Punkte, die z.B. eine Linie bilden können und deren letzte unteilbare Elemente sind). Man könnte auch hinzufügen, dass die Unteilbarkeit der Substanz nicht im Sinne der Unteilbarkeit des Atoms zu verstehen ist. Unteilbarkeit der Substanz bedeutet vielmehr, dass diese „außerhalb der Ordnung der Ausdehnung ist“. Die Substanz ist prinzipiell nicht ausgedehnt, denn sie gehört nicht zum Bereich ausgedehnter Dinge, wie Steine, Berge, Planten, Pflanzen, Tiere und Menschen. Doch zugleich sind all diese Dinge Substanzen. Dies mag vielleicht schwierig zu begreifen sein. Wie kann eine Orchidee eine Substanz sein und zugleich die Substanz nicht ausgedehnt sein, wo doch jeder sieht, dass die Orchidee ausgedehnt ist?

Um diese Frage zu beantworten, muss man sich erinnern, was mit einer Substanz im philosophischen Sinne gemeint ist. Unter einer Substanz versteht man ein Ding, eines Seiendes, das In-sich ist und nicht in einem anderen. Dies ist die Definition der Substanz. In-sich-Sein steht im Gegensatz zum In-einem-Anderen-Sein. Das Letztere gilt aber z.B. von der Ausdehnung. Es gibt keine Ausdehnung an sich, sondern eben nur ausgedehnte Dinge, ausgedehnte Substanzen, denn die Ausdehnung ist eine Eigenschaft materieller Substanzen. Zudem besteht eine Substanz aus Form und Materie. Die Form bestimmt das Wesen einer Substanz, das, was diese ist und dieses Was ist nicht ausgedehnt. Aber auch die Materie als Materie ist nicht ausgedehnt, sondern materielle Substanzen, also Dinge die aus Materie und Form zusammengesetzt sind. Die Materie im Sinne des einen Teils aus der eine Substanz besteht, ist die materia prima, die Urmaterie, die keinerlei Bestimmung hat, auch nicht die Bestimmung der Ausdehnung.

Da die Konstitutionsprinzipien der Substanz Form und Materie nicht ausgedehnt sind und die materielle Substanz die aus Form und Materie besteht als In-sich-Sein bestimmt ist, ist die Substanz qua Substanz nicht ausgedehnt. Die Ausdehnung ist eine Wesenseigenschaft materieller Substanzen und dies ist es, was die 10. These behauptet.

Daraus folgt auch, dass die Substanz ihrem Wesen nach nicht teilbar ist. Eine „Teilung“ der Substanz ist das Ende der Substanz. Wenn sich die Form von der Materie trennt, dann ist dies der Tod der Substanz, der Tod des Lebewesens. Die Materie nimmt eine neue Form an, z.B. wenn die abgestorbene Orchidee vermodert.

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