Dienstag, 28. August 2012

Post-Postmoderne Metaphysik


In einem Beitrag für die in Würzburg erscheinende katholische Tageszeitung „Die Tagespost“ äußert sich Christoph Böhr (der offensichtlich nicht Philosoph, sondern Journalist ist) über die „Metaphysik nach der Postmoderne“. Doch das, was unter diesem vielversprechenden Titel geschrieben wird, trieft vor Subjektivismus und neuzeitlichem Denken, dass es bestenfalls in den 20er Jahren des 20. Jahrhundert verortet werden kann, aber ganz gewiss keine Alternative zur kritisierten Postmoderne oder zum Positivismus darstellt.





Nach dem II. Vatikanischen Konzil wurde die thomistische Philosophie, die zuvor noch in der Kirche in höchstem Ansehen stand, in die verstaubten Bücheregale gestellt um sich nun besser der zeitgeistigen oberflächlichen Philosophie des Existenzialismus, der Heideggerei und der Phänomenologie hingeben zu können. Was dabei herauskam, war der sogenannte philosophische Personalismus, der bereits in den 1920er Jahren entwickelt worden war und gewissermaßen eine gemäßigte ‚katholische‘ Variante des Existenzialismus darstellt. Trotz des Versuchs mit dieser Philosophie bei den Modernen „anzukommen“, wurde der Personalismus in den breiten philosophischen Strömungen praktisch kaum zur Kenntnis genommen. Allenfalls in den 1960iger Jahren gelang es einigen dieser Philosophen in Europa eine gewisse Beachtung zu finden. Gleichwohl halten vor allem Theologen bis heute an dieser individualistischen und liberalen Variante des Existenzialismus fest.

Doch ich wollte eigentlich gar nicht über den Personalismus schreiben, zumal dies sehr schwierig ist, angesichts fehlender allgemeiner Kriterien. Der Aufsatz in der „Tagespost“ hat allerdings den Personalismus zur Grundlage und verkauft diesen als echte Alternative zu Postmoderne und analytischer Philosophie.

Das Problem liegt bereits in der Aufgabenstellung, nämlich einer „Neubegründung der Metaphysik“, die angesichts von Postmoderne und analytischer Philosophie notwendig sei. Das ist dasselbe wie die seit Kant immer wiederholte Frage nach einer „Metaphysik nach Kant“, so als habe Kant etwas Wesentliches zur Metaphysikkritik beigetragen hätte. Was Kant oder die postmoderne Philosophie in Frage gestellt haben, ist allenfalls ein Gespenst von „Metaphysik“ das es, wenn überhaupt, in der rationalistischen Metaphysik der Neuzeit vor Kant gegeben hat. Dabei beruht die Kritik an der Metaphysik, wie man sie bei Kant und seinen Apologeten oder in der Postmoderne findet, auf Voraussetzungen und Missverständnissen, die selbst unreflektiert bleiben. Ich wage hier die Behauptung, dass es bis heute keine argumentative Widerlegung der aristotelisch-thomistischen Metaphysik gibt, die deren wichtigste Prinzipien wie die Akt-Potenz-Theorie und die damit verbundene Lehre von Form und Materie, die thomistische Kausaltheorie (Vier-Ursachen-Lehre) oder andere Grundlagen dieser Philosophie betrifft.

Wer also meint, man müsse die Metaphysik „nach Kant“ oder „nach der Postmoderne“ neu begründen, der steht mit beiden Beinen in der neuzeitlichen Philosophie die er glaubt überwinden zu müssen. Diese Neubegründung sieht Böhr nun darin, dass man für die Neubegründung der Metaphysik den Ausgang „beim Ort des Denkens nehmen muss“, was natürlich das Subjekt des Denkens ist. Doch ist gerade dies keine Neubegründung, sondern dass, was bereits Descartes und Leibniz versucht haben und nach ihm alle anderen neuzeitlichen Philosophen.

„Der Ort des Denkens aber ist das Ich, genauer; das innere Ich – und die entscheidende Frage ist, ob es dem Subjekt möglich ist, eine Brücke zu den Objekten seines Denkens zu bauen: eine Brücke, die zum Objekt führt und uns den Gegenstand er- und begreifen lässt. Können wir sicher sein, dass sich dieser Zugriff nicht ausschließlich in der Wahrnehmung des Ich aufbaut, jenseits dieser Wahrnehmung aber auf keine eigene, vom Denken unabhängige Wirklichkeit trifft?“, schreibt Böhr. Man muss schon von Kenntnissen in der Philosophiegeschichte ziemlich unberührt sein, um dies als eine neue Fragestellung zur Neubegründung der Metaphysik anzusehen. Descartes hat praktisch genau diese Frage gestellt und nicht nur er, sondern dieses „Problem“, das ein Scheinproblem ist, liegt der ganzen modernen Philosophie zugrunde, deren späte Ausgeburten Postmoderne, Personalismus, Existenzialismus oder Positivismus sind.

Hier kommt noch die oftmals völlig hohle und nichtssagende Ausdrucksweise hinzu, die man zumindest Descartes und der analytischen Philosophie nicht vorwerfen kann. Was meint „das innere Ich“? Es gibt offenbar einen Unterschied zwischen äußerem und inneren Ich und eine „innerste Innerlichkeit des Ich“. Worin besteht dieser Unterschied? Und was ist dieses Ich? Mein Ich, dein Ich, ein transzendentales, allgemeines Ich? Wenn ich solche Sätze wie die zuvor zitierten lese, bekomme ich einen Hautausschlag und das Gefühl schreien zu müssen. Wenn die analytische Philosophie uns etwas gelernt hat, dann dies, dass philosophische Begriffe und Aussagen klar und deutlich sein müssen und dass Philosophie streng argumentativ und logisch begründete Aussagen treffen muss. Doch ist dies an sich nichts neues, denn ein Muster an begrifflicher Klarheit und Durchsichtigkeit der Argumentation ist Thomas von Aquin. Hohle Phrasen wie die zitierten wird man bei ihm und anderen mittelalterlichen Philosophen vergeblich suchen.

Doch nun zu der eigentlichen Aussage der zitierten Sätze. Sie beruhen auf einer angenommen Differenz zwischen innen und außen, einer Außenwelt, die „das Ich“ irgendwie erreichen muss, wenn es diese erkennen will. Wenn dem wirklich so wäre, dann gäbe es in der Tat keine Möglichkeit aus seinem „Ich“ heraus zu kommen. Descartes hat dies ganz richtig gesehen. Für ihn gibt es zwei völlig verschiedene Welten, die materielle Welt, die es res extensa nennt und die Welt des Denkens, die er als res cogitans bezeichnet. Wie beide Welten, bzw. wie das Denken mit der materiellen Welt übereinstimmen kann, beantwortet Descartes mit dem Hinweis auf einen Gott, der kein Betrüger sein kann und somit für diese Übereinstimmung sorgt.

Ein Denken oder Erkennen, das erst in sich eingeschlossen ist und dann aus sich herausgehen muss, um einen Kontakt zur „Außenwelt“ aufzunehmen, ist eine neuzeitliche Idee, die zu keinem Ergebnis kommen kann. Der Geist ist immer schon „draußen“ bei den Dingen, er muss gar nicht erst „aus sich rausgehen“. Dies ist der Sinn des mittelalterlichen Begriffs der Intentionalität, des Gerichtetseins auf etwas. Jedes Vermögen des Geistes hat seinen eigenen, bestimmten intentionalen Gegenstand. Das Sehvermögen ist auf Farben und Gestalten gerichtet, das Gehör auf Töne, der Tastsinn auf Oberflächen usw. Mit diesen Sinnen sind wir auf die sinnlichen Gegenstände gerichtet, von denen wir die individuellen Besonderheiten abstrahieren und dadurch die Wesenheiten der Dinge, ihre Formen erfassen. Und die Form des Gegenstandes, z.B. eines anderen Menschen, ist genau dieselbe in unserem Geist, wie sie in dem Mitmenschen ist und dort dessen Leib „informiert“. Es ist ein und dieselbe Form und darum erkennen wir den Anderen in seinem Wesen. Dies ist natürlich eine Vereinfachung; weiteres findet sich in einem anderen Blogbeitrag.

Böhrs Beitrag, zu dem man noch vieles sagen könnte, ist so tief im neuzeitlichen Subjektivismus verankert, dass selbst die moderne analytische Philosophie bereits weit darüber hinaus gelangt ist. Eine „Metaphysik nach der Postmoderne“ ist der von ihm vorgestellte Entwurf ganz sicher nicht. Eine solche Metaphysik ist identisch mit der Metaphysik vor der Moderne, nicht nur vor der Postmoderne, nämlich die aristotelisch-thomistische Philosophie.

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