Bertrand Russell gehört zu den einflussreichsten Philosophen
des 20. Jahrhunderts und gilt als einer der Väter der analytischen Philosophie.
Stark beeinflusst von David Hume aber auch von Franz Brentano und Alexius
Meinong, hat er verschiedene philosophische Entwicklungen durchlaufen. In einem
Werk aus seiner frühen Phase („On the Notion of Cause“)
behauptet er, dass das „Gesetz der Kausalität ein Relikt aus einem vergangenen
Zeitalter ist, das nur, wie die Monarchie, überlebte, weil es fälschlicherweise
als unschädlich betrachtet wurde“. Nach seiner Auffassung zeigt die Physik,
dass es keine Kausalität gibt. Physik beschreibt nämlich, nach Auffassung
Russells, die Welt in Differenzialgleichungen, die funktionale Beziehungen zwischen
Ereignissen beschreiben und diese Gleichungen beziehen sich nicht auf Ursachen.
„In den Bewegungen der wechselseitigen gravitierenden Körper
gibt es nichts, dass als eine Ursache bezeichnet werden kann und nichts, dass
als Wirkung bezeichnet werden kann; es gibt lediglich eine Formel“ heißt es in
der zuvor genannten Schrift Russells. Während Ursachen Wirkungen hervorbringen und
nicht umgekehrt, gibt es keine derartige Asymmetrie in den Gleichungen der
Physik, denn diese Gleichungen sind symmetrisch und können in jede Richtung
weisen.
Dieses Argument hat aber gleich mehrere Probleme. Zunächst
würden die Scholastiker bestreiten, dass alle Ursachen und Wirkungen zeitlich
asymmetrisch sind. Die unmittelbare Ursache einer Wirkung ist simultan mit
dieser, wie gegen Hume betont wurde. Außerdem beweist Russells Argument
sozusagen zu viel. Wenn es nämlich ausreicht zu zeigen, dass ein Ding nicht
existiert, weil es nicht in den Gleichungen der Physik vorkommt, dann müsste
man nicht nur Kausalität, sondern auch andere Arten fundamentaler Begriffe
eliminieren, einschließlich solcher Begriffe, die wesentlich für das
Verständnis der Wissenschaften sind.
Ein weiteres Problem beim Argument Russells gegen das
Kausalprinzip besteht darin, dass es alles andere als klar ist, dass die Physik
frei von Kausalbegriffen ist. So sind Dispositionseigenschaften,
die für den scholastischen Begriff der Kausalität ganz zentral sind, auf der
fundamentalen Ebene der Physik überall gegenwärtig (vgl. C.B. Martin, 2008)
Das vierte Problem mit dem Argument Russells lässt sich so
formulieren: Unabhängig davon, ob Kausalbegriffe in der Physik vorkommen, sind
sie auf jeden Fall in den Wissenschaften gegenwärtig. Und dass die anderen
Wissenschaften, wie Chemie, Biologie und noch weniger Soziologie oder
Psychologie auf die Physik reduzierbar sind, ist auch in der
Gegenwartsphilosophie weitgehend akzeptiert. Hinzu kommt, dass der philosophische
Naturalismus, dem Bertrand Russell zu dieser Zeit verpflichtet war, gerade in
der Gegenwartsphilosophie gar nicht artikuliert und verteidigt werden kann,
ohne die Bezugnahme auf Kausalbegriffe. Naturalisten verteidigen Kausaltheorien
der Erkenntnis, Kausaltheorien der Wahrnehmung, des repräsentationalen Inhalts
und vieles andere mehr. Wenn Kausalität also zentral für die Argumente der
Naturalisten ist, dann müssen Naturalisten Kausalität in jedem Fall
verteidigen, selbst dann, wenn sie in der Physik nicht vorkommt.
Doch das grundlegendste Problem im Argument Russells haben
wir noch gar nicht genannt: Es gibt einfach keinen Grund anzunehmen, dass die
Physik uns irgendeine auch nur annähernd vollständige Erklärung derWirklichkeit gibt.
Im Gegenteil gibt es eine Menge von Gründen anzunehmen, dass sie dies nicht
tut. Ironischerweise hat Russell dies später selbst deutlich gesehen, wenn er
sagte, dass die Physik uns nichts über den intrinsischen Charakter von
Ereignissen sagen kann. „Alles was die Physik uns gibt, sind gewisse
Gleichungen, die abstrakte Eigenschaften der Veränderungen wiedergeben“.
Die moderne Physik konzentriert sich auf solche Aspekte der
Wirklichkeit, die in der Sprache der Mathematik beschrieben werden können und
die von allem anderen abstrahieren. Wenn es Merkmale in der Welt gibt, die
diese Mathematisierung erlauben, dann ist die Physik gut geeignet, um sie zu
finden und mit dieser Methode zu beschreiben. Doch bei Merkmalen der
Wirklichkeit, die nicht mit dieser Methode erfasst werden können, kann die
Physik diese Merkmale sicher nicht finden. Wenn man von dem Erfolg für
bestimmte Vorhersagen, die die Physik machen kann, wie z.B. die Stellung der
Planeten unseres Sonnensystems zueinander in 328 Jahren, darauf schließt, dass
die Physik eine nahezu vollständige Erklärung der Welt liefern kann, dann ist
dies ein wirklich sehr grober Fehlschluss.
Wenn das, was eine mathematische Gleichung der Physik
beschreibt wirklich eine Veränderung ist, dann, so argumentiert der
Scholastiker, beinhaltet diese Veränderung die Theorie von Akt und Potenz. Dies
bedeutet, dass bei den intrinsischen Merkmalen eines Dinges, die die Physik
beschreibt, so etwas wie reale Potenzen vorhanden sein müssen und dies sind
natürlich kausale Eigenschaften.
Chapeau und herzlichen Dank!
AntwortenLöschenBertrand Russell war kein Philosoph. Dagegen sprechen sein dümmlich-plakativer "Atheismus" und seine ausgesprochen sozialistisch-bolschewistischen Neigungen.
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