Ein weiterer Einwand gegen das aristotelisch-scholastische
Kausalprinzip geht zurück auf das von Newton entdeckte Trägheitsgesetz. Thomas
von Aquin verwendet als Prämisse für seinen ersten Gottesbeweis den Satz: „Alles
was sich in Bewegung befindet wird durch etwas anderes in Bewegung gebracht.“
Dies ist eine andere Formulierung des Kausalprinzips. Seit langem wird nun
behauptet, dass Newtons Trägheitsgesetz dieses Prinzip widerlegt habe. Das
Gesetz lautet bekanntlich: „„Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder
der gleichförmigen Translation, sofern er nicht durch einwirkende Kräfte zur
Änderung seines Zustands gezwungen wird.“
Zunächst lässt sich
dagegen behaupten, dass es keinen formalen Widerspruch zwischen den
Kausalprinzip und dem Newtonschen Gesetz gibt, selbst dann nicht, wenn wir den
Begriff der „Bewegung“ in beiden Formulierungen im selben Sinne verstehen.
Newtons Gesetz besagt, dass ein Körper in einer gleichförmigen und gradlinigen
Bewegung verharren wird, wenn er überhaupt bewegt wird und
solange keine äußeren Kräfte den Körper daran hindern. Das Gesetz sagt nichts
darüber, warum der Körper sich so verhält. Es sagt zum Beispiel nichts
über etwas oder jemanden, der den Körper bewegt.
Wichtiger
allerdings als dieses Argument gegen den Einwand zum Kausalprinzip ist, dass in
beiden Gesetzen nicht über dieselbe Sache geredet wird oder zumindest nicht
über genau dieselbe Sache. Newtons Gesetz sagt nur etwas über die
Ortbewegung, d.h. die Veränderung eines Körpers hinsichtlich des Ortes.
Scholastiker hingegen verstehen unter Bewegung ganz verschiedene Arten von
Veränderungen, z.B. das Werden, die substanzielle oder die akzidentelle
Veränderung, von denen die Ortsveränderung nur eine bestimmte Art ist. Damit
falsifiziert die Newtonsche Mechanik also keineswegs das scholastische
Kausalprinzip, sondern es macht überhaupt gar keinen Gebrauch von diesem
Gesetz.
Drittens kann man sogar zeigen, dass das Newtonsche Gesetz
in einem bestimmten Sinne einen bestimmten Aspekt des scholastischen Prinzips
implizit bestätigt. Denn insofern als die moderne Physik eine gleichförmige Bewegung
als einen „Zustand“ bestimmt, behandelt sie diese Bewegung als Abwesenheit von
Veränderung; ein Zustand ist ja gerade keine Veränderung. Newtons Gesetz
behauptet, das äußere Kräfte erforderlich sind um einen Körper von diesem „Zustand“
zu bewegen und deshalb eine Veränderung hervorzubringen. Und insofern gibt es
keinerlei Konflikt mit dem Kausalprinzip, das behauptet, dass Bewegung, d.h.
jede Art der Veränderung, etwas erfordert, das diese Veränderung verursacht.
Viertens: Wenn Newton somit näher mit dem Aristotelismus verbunden
ist als häufig angenommen, dann sind auch die Aristoteliker (oder zumindest
Aristoteles und Thomas von Aquin) enger mit Newton verbunden als häufig
angenommen. So hat beispielsweise der bedeutende Philosophiehistoriker James
Weisheipl gezeigt, dass die Vorstellung, dass Aristoteles und Thomas der
Auffassung waren, dass kein Objekt in einer örtlichen Bewegung verharren kann,
außer ein Beweger hält das Objekt ständig in Bewegung, so etwas wie ein
moderner Mythos ist. In der Tat gab es eine solche Vorstellung im Mittelalter
und zwar von Seiten des einflussreichen islamischen Philosophen Averroes und
einiger Scholastiker, aber nicht von Seiten Aristoteles‘ und Thomas von Aquins.
Das wichtigste Argument gegen den Einwand gegen das
Kausalgesetz von Seiten des Newtonschen Trägheitsgesetzes ist allerdings das
Argument, das wir bereits mehrfach wiederholt haben, dass nämlich die Physik
nicht in der Lage ist, auch nur annähernd so etwas wie eine vollständige
Beschreibung der Natur zu liefern, sondern dass sie von allem abstrahiert, was
nicht mathematisiert werden kann. Deshalb kann weder die Newtonsche Mechanik
noch irgendeine andere physikalische Theorie etwas gegen das Kausalprinzip
einwenden.
In meinem nächsten Beitrag werde ich dies anhand
verschiedener Einwände gegen das Kausalgesetz auf der Grundlage der
Quantenmechanik zu zeigen versuchen (natürlich wie immer und auch in diesem
Beitrag, entlang des Buches von Edward Feser: Scholastik Metaphysics. AContemporary Introduction).
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