Sonntag, 3. Januar 2016

Traditionelle und moderne Logik



Worin bestehen die wesentlichen Unterschiede zwischen der traditionellen, d.h. aristotelischen Logik und der modernen Logik? Zu dieser Frage gibt es so gut wie keine Darstellungen. Es wird zwar von Vertretern beider Seiten betont, dass die Unterschiede sehr groß sind und man kann auch eine Liste von Unterschieden nennen, durch die sich beide "Arten" der Logik unterscheiden, aber worin der Unterschied im Wesentlichen besteht bleibt dabei offen. Im Folgenden möchte ich diesen wesentlichen Unterschied zumindest andeutungsweise herausarbeiten.




Was ist traditionelle Logik?

Die traditionelle Logik geht, wie gesagt, auf Aristoteles und andere griechische Philosophen zurück und wurde durch die mittelalterlichen Philosophen erheblich weiterentwickelt, vereinfacht, formalisiert und systematisiert. Im Zentrum der traditionellen Logik steht die sogenannte Syllogistik. Das klassische Beispiel eines solchen Syllogismus ist:


Alle Menschen sind sterblich

Sokrates ist ein Mensch

Also ist Sokrates sterblich



Diese Art der Logik wird oft auch als Begriffslogik bezeichnet und schon in diesem Titel wird der Unterschied zur modernen formalen oder mathematischen Logik angedeutet. Die Begriffslogik behandelt vor allem (wenn auch nicht ausschließlich) die Beziehungen zwischen Begriffen in Argumenten (in unserem Beispiel sind das die Begriffe „Menschen“, „sterblich“ und „Sokrates“). Die Gültigkeit eines Arguments in dieser Art der Logik ist abhängig von der Anordnung der Begriffe im Argument.



Was ist ein Begriff?

Unter einem Begriff im traditionellen Sinne versteht man eine essentielle Bestimmung. Essentielle Bestimmungen sind insbesondere Wesenheiten und Eigenschaften. Begriffe werden sprachlich durch Worte ausgedrückt, wie „Mensch“ oder „sterblich“, doch Begriffe sind nicht identisch mit Worten. Der Begriff Mensch, der sprachlich mit dem deutschen Wort „Mensch“ ausgedrückt wird, kann auch in jeder anderen Sprache ausgedrückt werden. Der Begriff bezieht sich auf das, was mit dem Wort gemeint ist, nämlich auf den Menschen, auf sein Wesen.



Moderne Logik

Da die neuzeitliche Philosophie seit Descartes und bereits vorher im Spätmittelalter bei William von Occam Wesenheiten und Eigenschaften grundsätzlich in Frage stellt, muss dies auch Auswirkungen auf die Logik haben. Allerdings gelingt es der neuzeitlichen Philosophie über Jahrhunderte nicht, eine eigenständige Logik zu entwickeln, die ihren, im Verhältnis zur aristotelisch-scholastischen Philosophie, ganz anderen philosophischen Hintergrund repräsentiert. Leibniz hatte zwar bereits eine Vorstellung von einer Logik, die dem modernen Denken entspricht, doch gelang es ihm nicht, diese selbst auszuarbeiten. Er träumte von einer Logik, die er als „calculus ratiocinator“ bezeichnete, quasi eine „Logikmaschine“ (ähnlich wie die von ihm entwickelte Rechenmaschine), die alle logischen Probleme lösen kann. Der Hintergrund eines solchen logischen Kalküls, wie es heute auch genannt wird, ist der Versuch, die gesamte Realität in rein quantitative Bestimmungen auflösen, denn genau dies ist erforderlich, um eine Logik zu entwickeln, die vollständig frei ist von allen essentiellen Bestimmungen; eine Logik, die man als „reine Logik“ bezeichnen kann, da sie ohne direkten Bezug zur Realität arbeitet.


Was Leibniz noch nicht gelang, dies wurde dann im 19. Jahrhundert verwirklicht. Durch den Einfluss der Aufklärung und des wissenschaftlichen Materialismus im 18. und 19. Jahrhundert, sowie durch die zunehmenden Erfolge der quantitativen Naturwissenschaften gelang es zunächst dem Jenaer Philosophen und Mathematiker Gottlob Frege und auf dessen Grundlage Bertrand Russell und Whitehead eine völlig neuartige Form der Logik zu entwickeln. Frege versuchte zu zeigen, dass die gesamte Mathematik auf Logik zurückführbar ist. Sein Versuch scheiterte zwar, doch wurde dieses Projekt von Russell und Whitehead, z.T. in Zusammenarbeit und mit Anregungen von Ludwig Wittgenstein, weiterentwickelt und in der berühmten „Principia Mathematica“ niedergelegt. Hier finden sich bereits alle wichtigen Grundlagen der modernen Logik.


Die Grundlage dieser neuen Logik ist eine neue Methode, mit deren Hilfe es möglich wurde, alle Gedanken und Schlussfolgerungen zu quantifizieren. Schon hier wird sichtbar, dass die Zielsetzung bzw. die Absicht dieser neuen Logik eine ganz andere ist, als die der klassischen Logik. Die moderne Logik ist eine mathematische und d.h. quantifizierende Logik, die ihr Hauptanwendungsgebiet im Bereich der Mathematik hat und nicht in der Philosophie. Ganz zurecht ist die moderne Logik deshalb heute auch ein Teilgebiet der Mathematik, während sie früher zur Philosophie gehörte.



Worin bestehen die Unterschiede von traditioneller und moderner Logik?

Wenn man in moderne Einführungen in die Logik schaut (von denen es sehr viele und sehr gute gibt), dann werden die Unterschiede zwischen den beiden Arten der Logik unterschiedlich beurteilt. Im Allgemeinen aber wird gesagt, dass das Anwendungsgebiet der traditionellen Logik sehr begrenzt ist und dieser Anwendungsbereich durch die moderne Logik ganz erheblich erweitert wurde. Bestenfalls könnte die traditionelle Logik als ein kleines Teilgebiet in die moderne Logik „aufgehoben“ (im dreifachen Sinne dieses Wortes) werden. Zudem gibt es verschiedene Versuche, die traditionelle Logik mit den Mitteln der modernen Logik neu zu formulieren.


Es gibt aber auch andere Stimmen, die nicht nur graduelle Unterschiede zwischen beiden Arten der Logik sehen, sondern die einen radikalen Unterschied feststellen und diese Stimmen kommen sowohl aus dem Lager der Neuscholastiker als auch dem Lager der modernen Logiker.


So bezeichnet der Neothomist und traditionelle Logiker Jacques Maritain die moderne Logik als „Logistik“ (ein Begriff, der von Kritikern der modernen Logik später dann oft verwendet wurde) und behauptet, dass Logistik und Logik zwei getrennte Disziplinen sind, die sich gegenseitig völlig fremd sind. Für Maritain ist die moderne Logik überhaupt keine Logik. Etwas Ähnliches, nur von der anderen Seite, von Seiten der modernen Logik, behauptet Bertrand Russell. Er sagt, dass die traditionelle Logik vollständig antiquiert ist, so ähnliche wie das ptolemäische Weltbild. Die aristotelische Syllogistik sei völlig unwichtig und wer in unserer Zeit Logik studieren möchte, würde nur seine Zeit verschwenden, wenn er Aristoteles oder einen seiner späteren Schüler lesen würde.


Den Unterschied zwischen den beiden Arten der Logik kann man in drei Hinsichten zusammenfassen: Zunächst unterscheiden sich beide Systeme durch ihre Hintergrundannahmen, d.h. vor allem durch den philosophischen Hintergrund. Zweitens unterscheiden sich beide Systeme durch die Struktur der Systeme und drittens ist der Zweck der beiden Systeme völlig verschieden. In allen drei Hinsichten reflektiert die traditionelle Logik eine traditionelle Auffassung der Welt, so wie die moderne Logik eine moderne, neuzeitliche Weltauffassung reflektiert. Dies bedeutet, dass letztlich beide Logiksysteme eine unterschiedliche Metaphysik widerspiegeln. Jedes der beiden Systeme hat seinen eigenen metaphysischen Hintergrund.


In einem folgenden Blogbeitrag werde ich diesen metaphysischen Hintergrund am Beispiel der bekannten Wahrheitstafeln der modernen Logik zu demonstrieren versuchen. Die traditionelle Logik kennt solche Wahrheitstafeln nicht, während sie im System der modernen Logik eine zentrale Rolle spielen.

1 Kommentar:

  1. Herzlichen Dank für diesen Beitrag! Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.

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