Donnerstag, 17. Januar 2019

Analytische und synthetische Sätze: Eine Unterscheidung ohne Realitätsbezug


Ich möchte im Folgenden die Frage behandeln, worauf die Notwendigkeit einer wahren notwendigen Proposition beruht und wie diese Notwendigkeit erkannt wird.

Meine These lautet: Notwendige Urteile sind keine analytischen Sätze. Notwendige Aussagen sind Was-Sätze, die etwas über die Wesenheit einer Sache aussagen. Dies gilt für alle notwendigen Wahrheiten, unabhängig davon ob es sich um „analytische“ „synthetische“ oder „synthetisch-apriorische“ Urteile handelt. Notwendige Aussagen beruht auf der Verbindung eines Dinges mit seiner Wesenheit.





Der weitere Text gliedert sich entsprechend. (i) Zunächst werde ich etwas zu der heute üblichen Einteilung aller Sätze in analytische und synthetische Urteile sagen und dabei auch auf die von Kant eingeführten „synthetisch-apriorischen“ Urteile eingehen. (ii) werde ich zu zeigen versuchen, dass diese Unterscheidung keinen Realitätsbezug hat. (iii) Es gibt keine analytischen Urteile (und damit auch keine synthetischen oder synthetisch-apriorischen Urteile), sondern nur notwendige oder nicht notwendige Urteile. (iv) Die Notwendigkeit eines Urteils beruht auf der Beziehung zwischen dem Gegenstand und seiner Wesenheit. Notwendige Urteile bzw. Wahrheiten geben Antwort auf eine Was-Frage. (v) Abschließend werde ich etwas zu der Frage sagen, wie notwendige Urteile erkannt werden.





(i) Analytische, synthetische und synthetisch-apriorische Urteile

In der Wissenschaft und Philosophie geht es um notwendige Aussagen. Nur solche Erkenntnisse können als „wissenschaftlich“ im strengen Sinne gelten, die eine Notwendigkeit mit sich führen. Alltägliche Aussagen wie „Die Kastanie lag im Schlosspark“ sind keine wissenschaftlichen Aussagen. „Alle Körper sind ausgedehnt“ ist hingegen eine wissenschaftliche Aussage und zwar eine solche, die herkömmlich als „analytisches Urteil“ bezeichnet wird. Solche analytischen, oder wie Kant sagt, apriorischen Urteile, haben nach der üblichen Theorie keinen Erkenntniswert, weil sie nichts anderes sind als „Erklärungsurteile“ (Kant, KdrV); sie erklären nur das, was im Begriff bereits enthalten ist. Das übliche Beispiel ist der Satz „Junggesellen sind unverheiratete Männer“. Der Begriff „Junggeselle“ meint nichts anderes, so Kant, als einen unverheirateten Mann. Daher sind analytische Urteile in der Wissenschaft wenig hilfreich. Nach der üblichen Auffassung sind mathematische und geometrische Sätze analytische Urteile, die von Ludwig Wittgenstein als Tautologien bezeichnet werden, ebenso wie die Axiome der Logik.



Die alltägliche Aussage „Die Kastanie lag im Schlosspark“ wird hingegen als synthetische Aussage bezeichnet. Ein solcher Satz ist allerdings rein zufällig wahr, also keine notwendige Wahrheit. Sätze dieser Art, also rein synthetische Urteile, bestimmen unseren Alltag. Das darin ausgesagte könnte auch anders sein, es ist also nicht notwendigerweise wahr. Kant nennt solche Sätze auch „Sätze a posteriori“, also Sätze, die durch Erfahrung gewonnen werden und die uns etwas Neues erkennen lassen, im Unterschied zu Sätzen a priori, die, wie gesagt, nur im Prädikat das erklären, was im Subjektbegriff bereits enthalten ist.



 Nach Kant gibt es nun synthetische Aussagen, die trotzdem notwendig sind. Dazu zählt Kant insbesondere den Kausalsatz, dass jede Wirkung eine Ursache hat, oder alle Sätze der Geometrie. Kant nennt diese Sätze synthetisch-apriorisch, weil es sich um Sätze handelt, die unabhängig von aller Erfahrung mit strenger Allgemeinheit und Notwendigkeit etwas von einem Subjekt aussagen. Für Kant bedeutet „a priori“ „vor jeder Wahrnehmung und Erfahrung“. Synthetische Urteile a priori sind somit solche Sätze, die vor jeder Wahrnehmung und Erfahrung wahr sind, obgleich es sich um synthetische Urteile handelt. Dass diese Urteile a priori sind, beruht nach Kant darauf, dass das Bewusstsein von selbst durch sich die Notwendigkeit erfasst. Dabei bezieht sich dieses Erfassen des Bewusstseins nur auf das Formale der Erkenntnis, nicht auf deren Inhalt bzw. deren Einzelheiten. Das Bewusstsein, von dem hier die Rede ist, ist das „transzendentale Bewusstsein“, also ein Bewusstsein, das allen Menschen zukommt, insofern sie Menschen, bzw. Bewusstseinswesen sind. Das „a priori“ liegt somit in der „formalen Beschaffenheit des Subjekts“. Wir sind es, die diese Strukturen in die Dinge hineinlegen. So ist der Kausalsatz kein Satz, den wir in der Natur durch Erfahrung entdecken, sondern es ist eine Wahrheit, die immer schon in unserem Bewusstsein vorhanden ist und mit der wir überhaupt erst die Dinge erkennen können. Anders gesagt: Die formale Beschaffenheit des Subjekts bestimmt, wie wir die Dinge erfassen und nicht die Dinge selbst bestimmen, was oder wie sie beschaffen sind.



Nach der üblichen Einteilung gibt es aber auch synthetische Urteile, die notwendig sind. Dies sind die in Aussagen formulierten Sätze z.B. der Naturwissenschaften. Ihre Notwendigkeit beruht nach der üblichen Auffassung auf Induktion, d.h. sie werden durch immer wiederholte Untersuchung, z.B. mit Hilfe von Experimenten, erfasst und, sofern möglich, in mathematisierten Gesetzen formuliert. Hierzu gehören alle naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, besonders die der Physik und Chemie, aber natürlich auch Aussagen der anderen Wissenschaften. Die Frage nach der Notwendigkeit solcher Sätze ist allerdings sehr umstritten und es gibt eine schon lange währende Diskussion darüber, ob solche naturwissenschaftlichen Erkenntnisse bzw. Aussagen überhaupt notwendig sind und falls sie notwendig sind, worauf deren Notwendigkeit beruht, bzw. ob es sich bloß um eine Wahrscheinlichkeit handelt. Bei einer humeschen Analyse, die heute von vielen Wissenschaftstheoretikern vertreten wird, handelt es sich bei solchen empirischen und induktiven Sätzen nur um Implikationen, also um Sätze mit der Struktur „wenn…, dann…“. Wenn A geschieht, dann geschieht B.



(ii) Analytische und synthetische Aussagen: Eine Unterscheidung ohne Realitätsbezug

Der neoaristotelische Philosoph Henry Veatch (1969) hat gezeigt, dass es nach der klassisch-aristotelischen Auffassung überhaupt keine analytischen Sätze gibt, also Sätze, deren Prädikat nichts anderes ist als die Erklärung des Satzsubjekts. Mit Bezug auf Aristoteles und die scholastische Philosophie sagt Veatch, dass solche Sätze nichts anderes als Was-Sätze sind, die etwas über das Wesen einer Sache aussagen und nicht etwas über Begriffe oder Worte. Die übliche Rede von analytischen Sätzen betrachtet ausschließlich die Struktur des Satzes bzw. der darin enthaltenen Begriffe und definiert daher analytische Sätze als solche, deren Satzprädikat im Satzsubjekt enthalten ist. Nach Auffassung der aristotelisch-scholastischen Philosophie sagen solche „analytischen Sätze“ aber – um unsere Beispiele zu verwenden – dass das Wesen des Junggesellen darin besteht, ein unverheirateter Mann zu sein, oder dass das Wesen der Körper darin besteht, ausgedehnt zu sein. Solche Aussagen sind durchaus informative Aussagen über die Welt und keine Tautologien. Sie sagen etwas darüber, wie die Welt beschaffen ist. Es handelt sich bei solchen notwendigen Aussagen also nicht primär um Aussagen über den Gebrauch von Wörtern oder Begriffen. Erst in einer „sekundären Intention“, wie es in der Scholastik genannt wird, kann ich mich auf den Satz selbst beziehen und seine Struktur untersuchen, doch dies ist eine linguistische oder logische Untersuchung und keine solche, die es mit der Realität zu tun hat. Und hier stoßen wir nun auf ein zentrales Charakteristikum der modernen Philosophie: Ihr Gegenstand ist nicht die Welt, sondern unsere Rede über die Welt. Es geht in der modernen Philosophie nicht primär darum, die Welt selbst zu erkennen, sondern um eine sekundäre Intention, die sich damit beschäftigt, wie wir über die Welt sprechen (Wittgenstein und die analytische Philosophie), bzw. wie wir die Welt erfassen (Kant). Nur nebenbei sei bemerkt, dass vermutlich hier auch der Grund oder eines der Gründe für die extreme und zunehmende Normierung der Sprache in der westlichen Welt liegt, die unter dem Titel „political correctness“ so unheilvolle Wirkungen zeitigt. Viele solcher modernen „Sprachverbote“ würden sich vermutlich von selbst erledigen, wenn es um die Wirklichkeit ginge und nicht darum, wie wir darüber sprechen.


Nun könnte man meinen, dass, wenn solche „analytischen“ Sätze nicht analytisch sind, nichts anderes übrigbleibt, als sie als synthetische Aussagen zu bestimmen. Nach der üblichen Einteilung geht man davon aus, dass alle Aussagen oder Propositionen entweder analytisch oder synthetisch sind. Kant hat, wie zuvor erläutert, eine dritte Kategorie von Sätzen eingeführt, die synthetisch-apriorischen Sätze, die gewissermaßen eine Mischform aus synthetischen und analytischen Urteilen darstellen. Henry Veatch hat aber argumentiert, dass Sätze der genannten Art, wie „Alle Körper sind ausgedehnt“ auch keine synthetischen oder synthetisch-apriorischen Urteile sind. Gleichwohl sind solche Sätze notwendige Wahrheiten. Der Ausdruck „synthetisches Urteil“ oder „synthetisch-apriorischen Urteil“ bezieht sich auf die Struktur der Sprache bzw. der Form der Erkenntnis und nicht auf den Inhalt der damit bezeichneten Sätze. Solche Sätze werden bestimmt als Aussagen, deren Prädikate nicht im Satzsubjekt enthalten sind. Da die Prädikate nicht im Satzsubjekt enthalten sind, sind diese Prädikate zufällig mit dem Subjekt verbunden, können somit nicht notwendig sein. Wir wollen aber wissen, worauf ontologisch betrachtet, die Notwendigkeit der Wahrheit beruht, dass alle Körper ausgedehnt sind.



(iii) Die Dinge sind das, was sie sind

Wenn wir von der einfachen Prämisse ausgehen, dass die Dinge das sind, was sie sind, dass nichts existiert, ohne dass es etwas ist, dann ist das, was ein Ding ist, notwendig und nicht zufällig. Jedes Ding ist das, was es ist. Wenn etwas ein Huhn ist, dann ist es notwendigerweise ein Huhn. Und wenn etwas ein Körper ist, dann ist es notwendigerweise ausgedehnt. Wenn etwas ein Mensch ist, dann ist es notwendigerweise ein vernunftbegabtes Sinneswesen. Natürlich ist das, was ein Ding ist, seine Wesenheit, oft nicht einfach zu erkennen. Doch das ändert nichts an der ontologischen Tatsache, dass die Wesenheit eines Dinges notwendig ist, dass es diese Wesenheit notwendigerweise besitzt, bzw. das Was-Sätze immer notwendigerweise wahr sind.


Dies bedeutet aber, dass solche Was-Sätze nicht aufgrund ihrer logischen Struktur notwendigerweise wahr sind, sondern sie sind material notwendig wahr, d.h. aufgrund der Tatsachen in der Welt, aufgrund dessen, dass die Dinge das sind, was sie sind. Die Einteilung der Sätze in analytische und synthetische hingegen bezieht sich ausschließlich auf die logische bzw. linguistische Struktur der Sätze und leitet davon ab, ob ein Satz analytisch ist und deshalb notwendig, oder eben synthetisch und deshalb eine kontingente Wahrheit ausspricht. Deshalb ist die Einteilung der Sätze in synthetische und analytische irrelevant in Bezug auf Was-Sätze.



Moderne Philosophen verteidigen ihre Auffassung damit, dass sie behaupten, dass die Logik die Struktur der Welt selbst widerspiegelt. Daher glaubt man, man könne von der Logik mehr oder weniger direkt auf die Ontologie schließen. Doch genau das steht hier in Frage. Die Struktur der Sprache bzw. der Logik ist nicht identisch mit der Struktur der Welt. Dies lässt sich an einem einfachen Beispiel der Logik erläutern. Der Satz „A ist B“ oder „Ein Huhn ist ein zweibeiniges gefiedertes Sinneswesen“ hat die Struktur, dass ein Prädikat durch das Wort „ist“ als Verbinder mit einem Subjekt verbunden wird. Dieses „ist“ kommt aber in der Natur bzw. in der Wirklichkeit nicht vor. Es gibt keinen „Verbinder“, keinen Nexus zwischen einem Huhn und seiner Bestimmung als gefiedertes, zweibeiniges Sinneswesen, denn diese Bestimmung ist dem Huhn „innerlich“, es ist genau das, was ein Huhn ist. In der modernen Philosophie, bei der die Logik auf die Ontologie angewendet wird, wird das „ist“ als Verbinder interpretiert und daraus eine Relation, die Relation der „Exemplifikation“. Ontologisch wird dies interpretiert als die Verbindung einer Universalie (oder mehrerer Universalien) mit einem Individuum. Hier hat der bekannte Satz von Ludwig Wittgenstein (1921) am Anfang seines Tractatus „Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge“ seinen Ursprung: Dinge werden analysiert als Tatsachen bzw. Sachverhalte, die aus der Verbindung (Relation) einer Universalie mit einem Individuum bestehen. Dies ist übrigens zugleich die Grundlage des logischen Atomismus von Bertrand Russell (1979) oder der Sachverhaltsontologie von Gustav Bergmann (1964). Dies zeigt, dass sich eine völlig andere Ontologie ergibt, wenn man diese an der Struktur der Logik oder der Sprache orientiert, eine Ontologie, die zudem dem „gesunden Menschenverstand“ deutlich widerspricht.



(iv) Notwendige Wahrheiten geben Antwort auf Was-Fragen

Wie schon gesagt, beruhen notwendige Wahrheiten in realistischer Betrachtung nicht auf einer Analyse der sprachlichen Struktur von Sätzen, sondern solche Sätze beziehen sich auf die Realität und geben Antwort auf Was-Fragen. Wenn die Frage lautet „Was ist das da?“, lautet die Antwort z.B. „Das ist ein Huhn“. Und auf die weitere Frage, „Was ist ein Huhn?“ lautet die Antwort z.B. „Ein Huhn ist ein gefiedertes, zweibeiniges Sinneswesen“. Die moderne Logik ist nicht in der Lage solche Was-Fragen zu beantworten, was natürlich damit zusammenhängt, dass sie antiessentialistisch gesinnt ist. Dies wird z.B. dadurch deutlich, dass ein Satz wie der zuvor genannte für die moderne Logik kein „wohlgeformter Ausdruck“ ist, sondern umformuliert werden müsste in: „Für alle x: Wenn x ein Huhn ist, dann ist x ein zweibeiniges und ein gefiedertes Sinneswesen.“ Dieses Satz ist nicht nur falsch, sondern sagt er etwas anderes als der Satz „Ein Huhn ist ein gefiedertes, zweibeiniges Sinneswesen“. Er ist falsch, weil nicht alle Hühner zwei Beine haben (sie können z.B. ein Bein verloren haben), obwohl sie deswegen nicht aufhören Hühner zu sein. Der zuvor genannte prädikatenlogische Satz hat aber am Anfang einen Allquantor und ist deshalb nur dann wahr, wenn ein Huhn zwei Beine hat. Dieses Problem lässt sich aber nicht dadurch lösen, dass man anstelle des Allquantors den sogenannten „Existenzquantor“ setzt: „Für einige x gilt: Wenn x ein Huhn ist, dann ist x ein zweibeiniges und ein gefiedertes Sinneswesen.“ Auch dies ist nicht richtig, denn im Allgemeinen sind Hühner zweibeinig. In der aristotelischen Logik haben Sätze wie „Ein Huhn ist ein gefiedertes, zweibeiniges Sinneswesen“ eine andere Bedeutung. In einem solchen Satz wird nach dem aristotelischen Verständnis eine Wesensbestimmung ausgesagt, oder ontologisch ausgedrückt, eine Wesenseigenschaft bezeichnet. Dies bedeutet, dass z.B. Hühner im Allgemeinen die Wesenseigenschaft besitzen, zweibeinig und gefiedert zu sein, dass sie aber nicht aufhören Hühner zu sein, wenn sie nur ein Bein haben. In der modernen Logik (und Philosophie) wird hingegen alles als Eigenschaft, bzw. als Akzidenz behandelt. Daher muss der Satz „Das ist ein Huhn“ umformuliert werden in „x ist ein Huhn“. „x“ steht hier für irgendein beliebiges, nicht bestimmtes Individuum und Huhn für das Prädikat, bzw. die Eigenschaft, die diesem x zukommt. Aber ein Huhn zu sein ist niemals eine Eigenschaft, selbst dann nicht, wenn es in einem Satz als Prädikat erscheint. Wesenheiten haben in der modernen Logik oder Ontologie keinen Platz.



(v) Wie notwendige Wahrheiten erkannt werden

Notwendige Wahrheiten im Sinne von analytischen Urteilen werden nach der heute üblichen Auffassung allein durch die Analyse des Satzes selbst als notwendig erkannt. Das Satzprädikat ist nichts anderes als die Entfaltung des Satzsubjekts. Es handelt sich also um eine Begriffsanalyse ohne Bezug zur objektiven Realität. Allein aus der Analyse der Begriffe „Körper“ und „ausgedehnt“ ergibt sich die notwendige Wahrheit, dass alle Körper ausgedehnt sind, weil der Begriff „Körper“ den Begriff „ausgedehnt“ beinhaltet. Nach Kant ist der Nexus zwischen den beiden Begriffen „Körper“ und „ausgedehnt“ das Produkt einer unbewusst tätigen synthetisch-apriorischen Funktion, die ohne Begleitung oder Unterstützung von einem bewusst wahrgenommenen Grund oder Motiv vor sich geht (P. Coffey 1917, I, 234). „Vor jeder Wahrnehmung und Erfahrung“, um mit Kant zu sprechen, erfassen wir die Begriffe „Körper“ und „ausgedehnt“ als identisch und deshalb ist der Satz „Alle Körper sind ausgedehnt“ notwendig. Die Erkenntnis der Notwendigkeit beruht hier auf der Struktur des transzendentalen Verstandes, der unsere Erkenntnis determiniert.



In einer realistischen Interpretation beruht die Notwendigkeit der Wahrheit, dass alle Körper ausgedehnt sind, auf dem Prinzip, dass alle Dinge das sind, was sie sind, d.h. auf der Erkenntnis der Wesenheit, bzw. des Soseins. Als rationale Sinneswesen sind wir in der Lage, Wesenheiten durch Abstraktion von individuellen Vorkommnissen zu erkennen. Wenn wir die Wesenheit des Körpers erfassen, dann erfassen wir, dass diese Wesenheit mit der Ausdehnung verbunden ist. Dieser Zusammenhang leuchtet dann dem Verstand mit unmittelbarer objektiver Evidenz ein und wird als notwendiger Zusammenhang erfasst. „Eine unmittelbare evidente Gewissheit liegt vor bei der Gewissheit im Angesicht von Sachverhalten wie dem, dass das Ganze größer ist als ein Teil oder dass kanariengelb heller ist als mitternachtsblau, oder eben dem Nichtwiderspruchsprinzip, dass etwas nicht zugleich sein und nicht sein kann.“ (R. Hüntelmann 2014, 76). Unmittelbare objektive Evidenz erfasst notwendige Zusammenhänge wie den, dass alle Körper ausgedehnt sind und sie manifestiert sich im Subjekt durch das Einleuchten einer Tatsache, die subjektiv zweifelsfrei gewiss ist und deren Leugnung nicht wahr sein kann. Diese Evidenz ist „unmittelbar“, weil sie keiner Beweisführung fähig ist aber auch keines Beweises bedarf, denn sie ist die Grundlage jeder Beweisführung. Übrigens gibt es eine solche unmittelbare objektive Evidenz auch in Bezug auf alltägliche Wahrnehmungen unter normalen Bedingungen. Es war die Skepsis gegenüber unserer Wahrnehmung, die die neuzeitliche und moderne Philosophie motiviert hat, die Struktur unserer Erkenntnis und unserer Sprache zu untersuchen, anstatt die Wirklichkeit, die das ist, was sie ist.







Bibliographie

Bergmann, Gustav (1964): Logic and Reality. Madision (The University of Wisconsin Press).

Coffey, P. (1917): Epistemology or the Theory of Knowledge. An Introduction to General Metaphysics, Two Volumes, Eugene, Oregon (Wipf & Stock).

Hüntelmann, Rafael (2014): Erkenntnistheorie. Reihe: Philosophie des gesunden Menschenverstandes, Heusenstamm (editiones scholasticae).

Kant, Immanuel (1998): Kritik der reinen Vernunft, Hamburg (F. Meiner Verlag)

Veatch, Henry B. (1969): Two Logics. The Conflict Between Classical and Neo_Analytic Philosophy. Evanston (Northwestern University Press).

Russell, Bertrand (1976): Sechs Aufsätze zum Logischen Atomismus. Beiträge zur Logik und Erkenntnistheorie 1908-1918. Berlin, Nachdruck der 1. Auflage (Xenomos Verlag.

Wittgenstein, Ludwig (1921): Tractatus logico-philosophicus: Logisch-philosophische Abhandlung. Frankfurt 1963 (edition suhrkamp Band 12).

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