Donnerstag, 29. Mai 2014

Akt und Potenz: Unterscheidungen, Unterscheidungen…

Potenz ist nicht gleich Potenz. Das gleiche gilt für den Akt. Es gibt einen Unterschied zwischen einer logischen Potenz und einer realen Potenz und bei den realen Potenzen muss man unterscheiden zwischen einer aktiven und einer passiven Potenz. Einhörner sind potenzielle Entitäten, allerdings nur logisch-potenzielle Entitäten, denn es gibt keine Einhörner, allerdings ist der Begriff des Einhorns nicht logisch widersprüchlich, wie z.B. der Begriff des runden Quadrats. Logische Potenzen sind Objekte des Denkens und es gäbe sie nicht ohne Denken. Das Gegenteil trifft zu für reale Potenzen, die in der wirklichen Natur oder Wesenheit der Dinge begründet sind. So ist die Potenz des Gummiballs geschmolzen zu werden real; ein Gummiball hat die Potenz geschmolzen zu werden. In der aristotelisch-scholastischen Philosophie gelten solche realen Potenzen als Potenzen im eigentlichen Sinne.




Bei den realen Potenzen gibt es eine wichtige Unterscheidung, nämlich die zwischen aktiven und passiven Potenzen. Eine aktive Potenz ist eine Fähigkeit oder ein Vermögen, das eine Wirkung hervorzubringen vermag, während die passive Potenz die Fähigkeit oder das Vermögen ist, bewirkt zu werden. Das hört sich kompliziert an, ist aber durch ein Beispiel einfach zu verstehen und diese Unterscheidung ist wirklich wichtig. Die Fähigkeit des Feuers, Gummi zu schmelzen, ist eine aktive Potenz des Feuers, während das Vermögen des Gummiballs geschmolzen zu werden eine passive Potenz des Gummis ist. Eine aktive Potenz wird daher auch als Kraft verstanden, während die passive Potenz eine Potenz im eigentlichen Sinne. Die aktive Potenz wird im allgemeinen daher auch nicht als Potenz bezeichnet, denn es handelt sich um eine Art von Aktualität (gelegentlich auch als „erste Aktualität“ bezeichnet).

Eine reine aktive Potenz oder Kraft unvermischt mit jeder Form passiver Potenz ist nichts anderes als reine Aktualität und dies ist die philosophische Bestimmung Gottes. In allen anderen Entitäten ist die aktive Potenz mit der passiven Potenz vermischt. Dieser Unterschied wird in der Scholastik auch durch den Unterschied zwischen geschaffener aktiver Potenz und ungeschaffener aktiver Potenz gefasst.

Es gibt noch weitere Unterscheidungen in der passiven Potenz, die wir hier aber übergehen (vgl. Edward Feser: Scholastic Metaphysics. A Contemporary Introduction, S. 40)

Der Akt oder die Aktualität wird in reine oder gemischte Aktualität eingeteilt. Der reine Akt, actus purus, wie der scholastische Fachbegriff lautet, ist ohne jede Verbindung mit Potenzialität und dies ist der Kern des scholastischen Gottesbegriffs. Jeder andere Akt ist in irgendeiner Weise mit Potenzialität vermischt. Bei den gemischten Akten unterscheidet die Philosophie der Scholastik zwischen dem operativen oder tätigen Akt und dem entitativen Akt Erste beziehen sich auf die Tätigkeiten einer Entität, eines Seienden während der entitative Akt sich auf das statische, das Sein der Entität bezieht. Beim essentielle Akt wiederum wird unterschieden in die substanzielle Form, die bestimmt, was das Seiende ist und die akzidentelle Form, die eine bereits bestehende Substanz modifiziert. Daher wird die substanzielle Form auch als erster Akt und die akzidentelle Form als zweiter Akt bezeichnet.

Um den Zusammenhang dieser Unterscheidungen nicht aus dem Auge zu verlieren, kann man das Ganze an einem Beispiel erläutern: Die substanzielle Form des Menschen ist, dass er ein rationales Sinneswesen ist. Dies ist seine erste Aktualität. Die Fähigkeit zu sprechen ist eine zweite Aktualität relativ zur ersten Aktualität, denn das Sprachvermögen setzt die Existenz des Menschen und damit die erste Aktualität voraus. Nun ist diese Sprachfähigkeit in Bezug zum tatsächlichen Sprechen eines Menschen eine zweite Aktualität, denn diese Tätigkeit des Sprechens setzt die Sprachfähigkeit voraus. Eine ähnliche Unterscheidung kann man mit Bezug zur Potenzialität machen: Jemand der kein Deutsch spricht, hat die Potenz deutsch zu sprechen insofern er die deutsche Sprache lernen kann. Dies ist die erste Potenzialität zum Sprechen der deutschen Sprache. Nachdem er die Sprache gelernt hat, besitzt er die ständige Fähigkeit, in verschiedenen Situationen deutsch zu sprechen. Das ist die zweite Potenzialität deutsch zu sprechen. Diese zweite Potenzialität ist umgekehrt die erste Aktualität insofern es die Kraft (aktive Potenz) ist, die von der Ausübung dieser Kraft oder dieses Vermögens verschieden ist. Die tatsächliche Ausübung des Vermögens deutsch zu sprechen ist seinerseits umgekehrt eine zweite Aktualität.

Nach diesen Unterscheidungen wenden wir uns im nächsten Beitrag den Vermögen bzw. Kräften, d.h. den aktiven Potenzen zu.


1 Kommentar:

  1. Ich wirklich dieses Artikels, eine Menge wertvoller Inhalte mögen. Und natürlich, sehr coole Bilder!

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