Derzeit wird von verschiedenen Regierungen in Europa und auch in Deutschland eine allgemeine Impfpflicht diskutiert und viele Bürger gehen davon aus, dass diese nicht mehr lange auf sich warten lässt. Daher nehmen die Demonstrationen in vielen Ländern zu, die sich gegen eine solche allgemeine Impfpflicht gegen Covid-19 richten. Was lässt sich auf der Grundlage des aristotelisch-thomistisch verstandenen Naturrechts zu einer allgemeinen Impfpflicht sagen?
Zunächst möchte ich betonen – worauf Thomas von Aquin
immer wieder hinweist – dass nur die obersten Prinzipien und die daraus
unmittelbar folgenden Schlüsse eine hohe Evidenz besitzen. Das oberste Prinzip
des Naturrechts lautet: „Du sollst das Gute tun und das Böse unterlassen“. Aus
diesem Prinzip folgt z.B., dass man unschuldige Menschen nicht quälen und töten
darf. Solche Sätze sind in hohem Grade gewiss. Eine solche Gewissheit kann es
aber mit Bezug zu der Frage einer allgemeinen Impfpflicht nicht geben.
Um die im Titel gestellte Frage zu beantworten, muss man
allgemeiner ansetzen. Eine Impfpflicht kann nur vom Staat verordnet werden. Der
Staat existiert allein um des Gemeinwohls willen, d.h. Aufgabe des Staates und
aller staatlichen Organe und Gliederungen ist die Durchsetzung des Gemeinwohls.
Was ist das Gemeinwohl? Ausführlicher habe ich dazu hier Stellung
genommen. In wenigen Worten hat der neuscholastische Sozialethiker Cathrein das
Wesen des Gemeinwohls folgendermaßen bestimmt: „Das Gemeinwohl ist die
Gesamtheit der Bedingungen, die erforderlich sind, damit nach Möglichkeit alle
Glieder des Staates frei und selbständig ihr wahres irdisches Glück erreichen
können“ (Cathrein, zitiert nach Messer, 1934, 491).
Der Staat, dessen bzw. dessen Zweck das Gemeinwohl ist,
muss demnach die Mittel und die Bedingungen zur Verfügung stellen, damit die
Glieder des Staates – das sind in erster Linie die Familien – ihre Ziele in
Freiheit selbstständig erreichen können. Ziel der Familie und des Einzelnen ist
zunächst das irdische Glück und in letzter Konsequenz die ewige Glückseligkeit
in der Anschauung Gottes.
Ein solches Verständnis des Staates unterscheidet sich
prinzipiell vom Staatsverständnis des Liberalismus. Für den Liberalismus ist
der Staat eine Institution, die für den Ausgleich der verschiedenen Interessen
der Individuen in einer Gesellschaft zuständig ist und sich ansonsten möglichst
weitgehend zurückhalten sollte. Daher spielen die individuellen Freiheitrechte
im Liberalismus eine zentrale Rolle, die zur Abwehr von staatlichen
Zwangsmaßnahmen dienen sollen. Der Grundverständnis des Liberalismus in Bezug
zum Staat ist von Misstrauen geprägt und deshalb werden in liberalen
Demokratien im Staat überall Kontrollorgane eingebaut, durch die die Regierungen
daran gehindert werden sollen, ihre Macht zu missbrauchen. In den letzten Jahrzehnten
hat sich hier allerdings eine deutliche Änderung ergeben, denn die Parlamente,
die die wichtigsten Kontrollorgane der Regierungen sein sollen, erfüllen diese
Funktion nicht mehr. Ebenso kommen die Medien in den vergangenen 15 Jahren ihrer
Funktion als „vierte Gewalt“ immer weniger nach und wurden zu
Verkündigungsorganen der Regierung. Die Proteste, die sich heute in vielen
westeuropäischen Ländern auf der Straße entladen, sind eine Folge dieser „Gleichschaltung“
der Kontrollorgane und Medien in liberalen Demokratien. Nach meiner
persönlichen Auffassung ist eine solche Entwicklung zu mehr oder weniger
totalitären Strukturen im Verlaufe der Jahrzehnte bei liberalen Demokratien
zwangsläufig, was ich hier aber nicht begründen kann und ein eigenes Thema für
einen späteren Blogbeitrag sein könnte.
Der Begriff des Gemeinwohls spielt für den Liberalismus
nur eine untergeordnete Rolle und dort wo der Begriff verwendet wird, hat er
eine andere Bedeutung als im klassischen Naturrecht. Da das Gemeinwohl im
klassischen Naturrecht der Zweck des Staates ist und das Gemeinwohl die
Gesamtheit der Bedingungen meint, die erforderlich sind, damit die Glieder des
Staates (wie gesagt, sind das nicht primär die Individuen, sondern die
kleineren sozialen Gemeinschaften und insbesondere die Familien) ihre Ziele –
das irdische Glück – erreichen können, kann der Staat Maßnahmen ergreifen, die
der Gesundheit des Volkes dienen. Selbstverständlich gehört die Sorge für die
Gesundheit der Glieder des Staates zu den Aufgaben des Gemeinwohls. Allerdings
muss hier gleich angemerkt werden, dass es (a) kein Recht auf Gesundheit gibt und
(b) der Staat dazu nur die Bedingungen bereitstellen sollte und zwar in dem Umfang,
wie ihm dies möglich ist und unter Beachtung der anderen Aufgaben im Dienste
des Gemeinwohls.
Daher kann es eine Situation geben, bei der infolge einer
schweren Pandemie, die Gesundheit großer Teile des Volkes schwerwiegend bedroht
ist, so dass zahlreiche weitere Folgen eintreten, die zu einem Schaden des
Gemeinwohls führen. Wenn infolge einer Pandemie – nehmen wir als krasses
Beispiel die Pest – große Teile der Bevölkerung so schwer erkranken, dass die
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung massiv geschädigt wird,
indem die Produktion zusammenbricht, Lieferketten nicht mehr funktionieren,
Dienstleistungen nicht mehr durchgeführt werden können etc., dann kann der Staat
eine Zwangsimpfung anordnen, sofern diese Aussicht auf Erfolg hat und eine
solche Entwicklung verhindern oder deutlich abmildern kann. In einem echten
liberalen Staat wäre dies übrigens vermutlich nicht möglich, da die individuellen
Freiheitsrechte im Liberalismus an der obersten Stelle stehen und eine
allgemeine Impfpflicht in der Tat ein massiver Eingriff in diese
Freiheitsrechte darstellen würde.
Nun geht es bei der zur Diskussion stehenden Impfpflicht
aber nicht um die Pest oder eine andere Epidemie, die mit einem hohen
Prozentsatz tödlich verläuft, sondern um die Covid-19 Pandemie. Deren Gefährlichkeit
will ich hier nicht diskutieren denn ich bin Philosoph und kein Mediziner.
Jedenfalls kann man sich vielleicht darauf einigen, dass diese Pandemie etwa
doppelt so hohe Sterbezahlen hat, wie eine schwere Grippewelle und deutlich
ansteckender ist als eine Grippe. Auch die Symptome unterscheiden sich
teilweise von Grippesymptomen. Seit diesem Jahr stehen „Impfungen“ zur
Verfügung, die freilich nicht unumstritten sind und deshalb auch nur eine „bedingte
Zulassung“ erhalten haben, weil deren Langzeitwirkungen nicht bekannt sind. Ich
habe das Wort „Impfungen“ bewusst in Anführungszeichen gesetzt, weil es streng
genommen keine Impfstoffe sind, sondern „gentherapeutische Mittel“. Diese „Programmieren“
die Zellen des Körpers von Menschen in der Weise, dass sie die schädlichen viralen
Proteine selbst herzustellen. Solche „gentherapeutische Mittel“ sind eine vollständig
neuartige Therapie, die bisher nur ein Versuchen am Menschen getestet wurden
und nun milliardenfach angewendet werden. Dass zahlreiche Menschen dagegen
Bedenken anmelden und sich weigern, damit geimpft zu werden ist auf jeden Fall
verständlich. Dass Vertreter der Regierungen und andere Verantwortliche diese
Menschen verurteilen und massiv ausgrenzen, diskriminieren und benachteiligen
ist auf keinen Fall verständlich und in höchstem Maße ungerecht, zumal sich
inzwischen gezeigt hat, dass die positiven Wirkung dieser „gentherapeutische
Mittel“ begrenzt sind.
Was kann unter diesen Bedingungen der naturrechtlich
orientierte Ethiker zu der Frage einer allgemeinen Impfpflicht zum Schutz gegen
Covid-19 sagen?
Grundsätzlich
gilt, dass das Gemeinwohl über dem Einzelwohl steht. Ob jedoch ein
vermeintliches Gemeinwohl, das im Konflikt zu einem Einzelwohl steht, wirklich
auch ein Gemeinwohl ist, dafür gibt es vier Kriterien:
1. Es ist der Gemeinschaft nicht erlaubt, etwas zu
gebieten, was dem Naturrecht bzw. der Sittlichkeit widerspricht.
2. Die Forderungen der Gemeinschaft dürfen
insbesondere nicht dem Subsidiaritätsprinzip widersprechen, d.h. es
darf nur das gefordert werden, was dem Ziel des Gemeinwohls dienlich ist.
3. Die Zuständigkeit der Gemeinschaft bezieht sich
ausschließlich auf eine äußere Ordnung, d.h. sie darf nur äußere
Handlungen fordern. Eine Gesinnung darf nicht vorgeschrieben werden, wenn es
auch durchaus wünschenswert ist, auf die Gesinnung der Mitglieder einer
Gemeinschaft im Sinne des Gemeinwohls einzuwirken.
4. Jede Gemeinschaft in einem Gemeinwesen ist
verpflichtet, ihr Ziel im Zusammenhang mit den Zielen der anderen Gemeinschaft
zu verwirklichen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Allgemeinwohl.
Sofern diese vier Bedingungen beachtet werden, ist zumindest
grundsätzlich eine Impfpflicht, wie sie z.B. bei der Pockenimpfung oder Kinderlähmung
bestand, aus naturrechtlicher Sicht möglich.
Allerdings ist eine weitere Abwägung hinsichtlich des
Nutzens hinsichtlich des Gemeinwohls. Zunächst sind die Kosten für eine
allgemeine Impfpflicht, die zudem alle 4-6 Monate wiederholt werden muss,
unvorstellbar hoch. Der einzige nachgewiesene Nutzen besteht darin, dass
weniger schwere Verläufe mit Todesfolge zu erwarten sind, aber eine Covid-19
Infektion führt bei etwa 80% der Fälle nur zu geringen oder gar keinen
Symptomen. Daher wäre für diese 80% der Fälle eine Impfung kaum erforderlich.
Betroffen von schweren und tödlichen Verläufen sind insbesondere ältere
Personen über 60 Jahren und Personen mit Vorerkrankungen und einem schwachen
Immunsystem.
Wenn man diese Informationen zugrunde legt, ist eine
allgemeine Impfpflicht schlicht überflüssig. Da sie zudem zu einer weiteren Spaltung
der Gesellschaft führt – eines der schwersten Übel für ein Gemeinwesen – sollte
man solche Überlegungen wie eine allgemeine Impfpflicht in den Mülleimer werfen
und sich den wirklich wichtigen Aufgaben zuwenden.
Zum Schluss noch eine Bemerkung zu den schlimmsten
Entwicklungen im Gefolge der Pandemie, die aus meiner Sicht schlimmer sind als
die Pandemie selbst, nämlich der stark zunehmende Totalitarismus in Westeuropa.
Einer der elementarsten Eckpfeiler der Demokratie ist die freie Debatte. In den
vergangenen 15 Jahren vor der Pandemie wurde diese bereits deutlich beschränkt
und missliebige Meinungen mit bestenfalls ad hominem Argumenten begegnet, oft
jedoch mit „Hass und Hetze“ von Seiten der Regierenden und insbesondere der
Medien. Seit der Pandemie ist diese Entwicklung potenziert worden, so dass man
sagen kann, dass die Verbote, Hass und Hetze etc. von Seiten der Herrschenden
und der Medien in zwei Jahren das Maß der letzten 15 Jahre überholt haben.
Übrigens ist die EU an dieser Entwicklung maßgeblich beteiligt. Wenn eine
Demokratie andere Meinungen, und seien diese auch verrückt, „verschwörungstheoretisch“,
„rechts“ und was auch immer, nicht aushalten kann und in einem freien und
offenen Diskurs solche Meinungen diskutieren kann, dann handelt es sich nicht mehr
um eine Demokratie. Die Grenze kann nur die Gewaltandrohung und -anwendung
sein. Mit dem Finger auf Länder wie Polen, Ungarn und Russland zu zeigen, lenkt
die Menschen nicht auf Dauer davon ab, die massiven Demokratiemissstände im
eigenen Land zu bemerkten. Die Hand die auf andere zeigt, zeigt mit dem Daumen
auf sich selbst.
Die eigentliche Pandemie in Europa ist die Zerstörung der
Demokratie durch die Herrschenden und die ihnen ergebenen Medien.
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