Dienstag, 28. Dezember 2021

Naturrecht und Impfpflicht

 


Derzeit wird von verschiedenen Regierungen in Europa und auch in Deutschland eine allgemeine Impfpflicht diskutiert und viele Bürger gehen davon aus, dass diese nicht mehr lange auf sich warten lässt. Daher nehmen die Demonstrationen in vielen Ländern zu, die sich gegen eine solche allgemeine Impfpflicht gegen Covid-19 richten. Was lässt sich auf der Grundlage des aristotelisch-thomistisch verstandenen Naturrechts zu einer allgemeinen Impfpflicht sagen?

 

Zunächst möchte ich betonen – worauf Thomas von Aquin immer wieder hinweist – dass nur die obersten Prinzipien und die daraus unmittelbar folgenden Schlüsse eine hohe Evidenz besitzen. Das oberste Prinzip des Naturrechts lautet: „Du sollst das Gute tun und das Böse unterlassen“. Aus diesem Prinzip folgt z.B., dass man unschuldige Menschen nicht quälen und töten darf. Solche Sätze sind in hohem Grade gewiss. Eine solche Gewissheit kann es aber mit Bezug zu der Frage einer allgemeinen Impfpflicht nicht geben.

Um die im Titel gestellte Frage zu beantworten, muss man allgemeiner ansetzen. Eine Impfpflicht kann nur vom Staat verordnet werden. Der Staat existiert allein um des Gemeinwohls willen, d.h. Aufgabe des Staates und aller staatlichen Organe und Gliederungen ist die Durchsetzung des Gemeinwohls.

Was ist das Gemeinwohl? Ausführlicher habe ich dazu hier Stellung genommen. In wenigen Worten hat der neuscholastische Sozialethiker Cathrein das Wesen des Gemeinwohls folgendermaßen bestimmt: „Das Gemeinwohl ist die Gesamtheit der Bedingungen, die erforderlich sind, damit nach Möglichkeit alle Glieder des Staates frei und selbständig ihr wahres irdisches Glück erreichen können“ (Cathrein, zitiert nach Messer, 1934, 491).

Der Staat, dessen bzw. dessen Zweck das Gemeinwohl ist, muss demnach die Mittel und die Bedingungen zur Verfügung stellen, damit die Glieder des Staates – das sind in erster Linie die Familien – ihre Ziele in Freiheit selbstständig erreichen können. Ziel der Familie und des Einzelnen ist zunächst das irdische Glück und in letzter Konsequenz die ewige Glückseligkeit in der Anschauung Gottes.

Ein solches Verständnis des Staates unterscheidet sich prinzipiell vom Staatsverständnis des Liberalismus. Für den Liberalismus ist der Staat eine Institution, die für den Ausgleich der verschiedenen Interessen der Individuen in einer Gesellschaft zuständig ist und sich ansonsten möglichst weitgehend zurückhalten sollte. Daher spielen die individuellen Freiheitrechte im Liberalismus eine zentrale Rolle, die zur Abwehr von staatlichen Zwangsmaßnahmen dienen sollen. Der Grundverständnis des Liberalismus in Bezug zum Staat ist von Misstrauen geprägt und deshalb werden in liberalen Demokratien im Staat überall Kontrollorgane eingebaut, durch die die Regierungen daran gehindert werden sollen, ihre Macht zu missbrauchen. In den letzten Jahrzehnten hat sich hier allerdings eine deutliche Änderung ergeben, denn die Parlamente, die die wichtigsten Kontrollorgane der Regierungen sein sollen, erfüllen diese Funktion nicht mehr. Ebenso kommen die Medien in den vergangenen 15 Jahren ihrer Funktion als „vierte Gewalt“ immer weniger nach und wurden zu Verkündigungsorganen der Regierung. Die Proteste, die sich heute in vielen westeuropäischen Ländern auf der Straße entladen, sind eine Folge dieser „Gleichschaltung“ der Kontrollorgane und Medien in liberalen Demokratien. Nach meiner persönlichen Auffassung ist eine solche Entwicklung zu mehr oder weniger totalitären Strukturen im Verlaufe der Jahrzehnte bei liberalen Demokratien zwangsläufig, was ich hier aber nicht begründen kann und ein eigenes Thema für einen späteren Blogbeitrag sein könnte.

Der Begriff des Gemeinwohls spielt für den Liberalismus nur eine untergeordnete Rolle und dort wo der Begriff verwendet wird, hat er eine andere Bedeutung als im klassischen Naturrecht. Da das Gemeinwohl im klassischen Naturrecht der Zweck des Staates ist und das Gemeinwohl die Gesamtheit der Bedingungen meint, die erforderlich sind, damit die Glieder des Staates (wie gesagt, sind das nicht primär die Individuen, sondern die kleineren sozialen Gemeinschaften und insbesondere die Familien) ihre Ziele – das irdische Glück – erreichen können, kann der Staat Maßnahmen ergreifen, die der Gesundheit des Volkes dienen. Selbstverständlich gehört die Sorge für die Gesundheit der Glieder des Staates zu den Aufgaben des Gemeinwohls. Allerdings muss hier gleich angemerkt werden, dass es (a) kein Recht auf Gesundheit gibt und (b) der Staat dazu nur die Bedingungen bereitstellen sollte und zwar in dem Umfang, wie ihm dies möglich ist und unter Beachtung der anderen Aufgaben im Dienste des Gemeinwohls.

Daher kann es eine Situation geben, bei der infolge einer schweren Pandemie, die Gesundheit großer Teile des Volkes schwerwiegend bedroht ist, so dass zahlreiche weitere Folgen eintreten, die zu einem Schaden des Gemeinwohls führen. Wenn infolge einer Pandemie – nehmen wir als krasses Beispiel die Pest – große Teile der Bevölkerung so schwer erkranken, dass die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung massiv geschädigt wird, indem die Produktion zusammenbricht, Lieferketten nicht mehr funktionieren, Dienstleistungen nicht mehr durchgeführt werden können etc., dann kann der Staat eine Zwangsimpfung anordnen, sofern diese Aussicht auf Erfolg hat und eine solche Entwicklung verhindern oder deutlich abmildern kann. In einem echten liberalen Staat wäre dies übrigens vermutlich nicht möglich, da die individuellen Freiheitsrechte im Liberalismus an der obersten Stelle stehen und eine allgemeine Impfpflicht in der Tat ein massiver Eingriff in diese Freiheitsrechte darstellen würde.

Nun geht es bei der zur Diskussion stehenden Impfpflicht aber nicht um die Pest oder eine andere Epidemie, die mit einem hohen Prozentsatz tödlich verläuft, sondern um die Covid-19 Pandemie. Deren Gefährlichkeit will ich hier nicht diskutieren denn ich bin Philosoph und kein Mediziner. Jedenfalls kann man sich vielleicht darauf einigen, dass diese Pandemie etwa doppelt so hohe Sterbezahlen hat, wie eine schwere Grippewelle und deutlich ansteckender ist als eine Grippe. Auch die Symptome unterscheiden sich teilweise von Grippesymptomen. Seit diesem Jahr stehen „Impfungen“ zur Verfügung, die freilich nicht unumstritten sind und deshalb auch nur eine „bedingte Zulassung“ erhalten haben, weil deren Langzeitwirkungen nicht bekannt sind. Ich habe das Wort „Impfungen“ bewusst in Anführungszeichen gesetzt, weil es streng genommen keine Impfstoffe sind, sondern „gentherapeutische Mittel“. Diese „Programmieren“ die Zellen des Körpers von Menschen in der Weise, dass sie die schädlichen viralen Proteine selbst herzustellen. Solche „gentherapeutische Mittel“ sind eine vollständig neuartige Therapie, die bisher nur ein Versuchen am Menschen getestet wurden und nun milliardenfach angewendet werden. Dass zahlreiche Menschen dagegen Bedenken anmelden und sich weigern, damit geimpft zu werden ist auf jeden Fall verständlich. Dass Vertreter der Regierungen und andere Verantwortliche diese Menschen verurteilen und massiv ausgrenzen, diskriminieren und benachteiligen ist auf keinen Fall verständlich und in höchstem Maße ungerecht, zumal sich inzwischen gezeigt hat, dass die positiven Wirkung dieser „gentherapeutische Mittel“ begrenzt sind.

Was kann unter diesen Bedingungen der naturrechtlich orientierte Ethiker zu der Frage einer allgemeinen Impfpflicht zum Schutz gegen Covid-19 sagen?

Grundsätzlich gilt, dass das Gemeinwohl über dem Einzelwohl steht. Ob jedoch ein vermeintliches Gemeinwohl, das im Konflikt zu einem Einzelwohl steht, wirklich auch ein Gemeinwohl ist, dafür gibt es vier Kriterien:

1. Es ist der Gemeinschaft nicht erlaubt, etwas zu gebieten, was dem Naturrecht bzw. der Sittlichkeit widerspricht.

2. Die Forderungen der Gemeinschaft dürfen insbesondere nicht dem Subsidiaritätsprinzip widersprechen, d.h. es darf nur das gefordert werden, was dem Ziel des Gemeinwohls dienlich ist.

3. Die Zuständigkeit der Gemeinschaft bezieht sich ausschließlich auf eine äußere Ordnung, d.h. sie darf nur äußere Handlungen fordern. Eine Gesinnung darf nicht vorgeschrieben werden, wenn es auch durchaus wünschenswert ist, auf die Gesinnung der Mitglieder einer Gemeinschaft im Sinne des Gemeinwohls einzuwirken.

4. Jede Gemeinschaft in einem Gemeinwesen ist verpflichtet, ihr Ziel im Zusammenhang mit den Zielen der anderen Gemeinschaft zu verwirklichen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Allgemeinwohl.

Sofern diese vier Bedingungen beachtet werden, ist zumindest grundsätzlich eine Impfpflicht, wie sie z.B. bei der Pockenimpfung oder Kinderlähmung bestand, aus naturrechtlicher Sicht möglich.

Allerdings ist eine weitere Abwägung hinsichtlich des Nutzens hinsichtlich des Gemeinwohls. Zunächst sind die Kosten für eine allgemeine Impfpflicht, die zudem alle 4-6 Monate wiederholt werden muss, unvorstellbar hoch. Der einzige nachgewiesene Nutzen besteht darin, dass weniger schwere Verläufe mit Todesfolge zu erwarten sind, aber eine Covid-19 Infektion führt bei etwa 80% der Fälle nur zu geringen oder gar keinen Symptomen. Daher wäre für diese 80% der Fälle eine Impfung kaum erforderlich. Betroffen von schweren und tödlichen Verläufen sind insbesondere ältere Personen über 60 Jahren und Personen mit Vorerkrankungen und einem schwachen Immunsystem.

Wenn man diese Informationen zugrunde legt, ist eine allgemeine Impfpflicht schlicht überflüssig. Da sie zudem zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft führt – eines der schwersten Übel für ein Gemeinwesen – sollte man solche Überlegungen wie eine allgemeine Impfpflicht in den Mülleimer werfen und sich den wirklich wichtigen Aufgaben zuwenden.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zu den schlimmsten Entwicklungen im Gefolge der Pandemie, die aus meiner Sicht schlimmer sind als die Pandemie selbst, nämlich der stark zunehmende Totalitarismus in Westeuropa. Einer der elementarsten Eckpfeiler der Demokratie ist die freie Debatte. In den vergangenen 15 Jahren vor der Pandemie wurde diese bereits deutlich beschränkt und missliebige Meinungen mit bestenfalls ad hominem Argumenten begegnet, oft jedoch mit „Hass und Hetze“ von Seiten der Regierenden und insbesondere der Medien. Seit der Pandemie ist diese Entwicklung potenziert worden, so dass man sagen kann, dass die Verbote, Hass und Hetze etc. von Seiten der Herrschenden und der Medien in zwei Jahren das Maß der letzten 15 Jahre überholt haben. Übrigens ist die EU an dieser Entwicklung maßgeblich beteiligt. Wenn eine Demokratie andere Meinungen, und seien diese auch verrückt, „verschwörungstheoretisch“, „rechts“ und was auch immer, nicht aushalten kann und in einem freien und offenen Diskurs solche Meinungen diskutieren kann, dann handelt es sich nicht mehr um eine Demokratie. Die Grenze kann nur die Gewaltandrohung und -anwendung sein. Mit dem Finger auf Länder wie Polen, Ungarn und Russland zu zeigen, lenkt die Menschen nicht auf Dauer davon ab, die massiven Demokratiemissstände im eigenen Land zu bemerkten. Die Hand die auf andere zeigt, zeigt mit dem Daumen auf sich selbst.

Die eigentliche Pandemie in Europa ist die Zerstörung der Demokratie durch die Herrschenden und die ihnen ergebenen Medien.

 

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