Der folgende Artikel von Rafael Hüntelmann ist zuerst erschienen auf der Website The Cathwalk.de, einem Internetportal, das sich besonders an junge Christen und solche, die es werden wollen, wendet. Der Beitrag bietet eine gute und kurze Zusammenfassung des Naturrechts und ich darf ihn auch in diesem Blog veröffentlichen.
Das Naturrecht ist aus der Mode gekommen, sofern es in der
letzten Jahrhunderten überhaupt in Mode war. Jedenfalls gab es nach dem II.
Weltkrieg eine gewisse Renaissance, die sich unter anderem im deutschen
Grundgesetz widerspiegelt, das deutlich die Handschrift des Naturrechts trägt,
auch wenn davon heutige Politiker und Richter des Bundesverfassungsgerichts
nichts mehr wissen wollen. Papst Benedikt XVI. konnte mit seiner Rede vor dem
Bundestag am 22. September 2011 ein gewisses Interesse am Naturrecht wachrufen,
das jedoch bald wieder in die Versenkung verschwand.
Zumindest zum Teil beruht diese Ignoranz und Ablehnung des
Naturrechts auf Missverständnissen. Darum will ich hier versuchen, in aller gebotenen
Kürze das Wesentliche zum Naturrecht vorzustellen. Es gibt seit einigen Jahren
wieder zahlreiche Bücher zum Thema, besonders im angelsächsischen Raum, die
z.T. in deutscher Übersetzung erhältlich sind.
Zunächst ist zu sagen, dass das Naturrecht keine katholische
Erfindung ist, wie man häufig hört. Naturrechtliche Aspekte im Recht finden
sich praktisch in nahezu allen Kulturen, besonders und systematisch aber in der
europäisch-abendländischen Kultur und hier sind es vor allem die Griechen und
Römer. Der wohl wichtigste Vertreter des klassischen Naturrechts ist zweifellos
Aristoteles, gefolgt von Cicero. Seine volle Entfaltung und Entwicklung erlebt
das Naturrecht dann im Mittelalter, vor allem bei Thomas von Aquin. Doch ich
möchte hier nicht den historischen Hintergrund vorstellen, sondern das Wesen
des Naturrechts.
Der Grundgedanke des Naturrechts ist geprägt durch die Suche
nach einer realistischen und objektiven Ethik, sowohl für den Einzelnen,
als auch für die Gemeinschaft. Die Fragestellung lautet: Gibt es objektive
moralische Maßstäbe, bzw. Regeln und Gesetze, die für alle Menschen aller
Zeitalter und Kulturen? Wenn es diese geben soll, dann muss man davon ausgehen,
dass es eine Wesenheit des Menschen gibt. Eine Wesenheit ist das, was über alle
Veränderungen hinweg immer gleichbleibt und das Ding, dessen Wesenheit es ist,
grundsätzlich bestimmt und auszeichnet. Es geht also um die Wesenheit des
Menschen. Diese Wesenheit des Menschen wird bereits seit der Antike definiert
als zoon logon echon, was die Lateiner mit animal rationale
übersetzen und was im deutschen vernunftbegabtes Sinneswesen bedeutet.
Die Tätigkeit, die Handlungen, die aus dieser Wesenheit folgen nennt man die Natur.
Und daher kommt der Begriff Naturrecht. Das Naturrecht ist deshalb zu
bestimmen als die objektiven moralischen Gesetze und Maßstäbe, die sich aus der
Wesenheit des Menschen als rationalem Sinneswesen, genauer, aus seiner Natur als
vernünftiges Sinneswesen ergeben. Letztlich beruhen alle Kritiken und die
Ablehnung des Naturrechts darauf, dass man bestreitet, dass es überhaupt
Wesenheiten gibt, und insbesondere darauf, dass es eine Wesenheit des Menschen
gibt. „Der Mensch ist das nicht festgestellte Tier“ sagt Nietzsche und nach
Sartre, dem Existenzialismus, dem Konstruktivismus und der Genderideologie
macht sich der Mensch selbst zu dem, was er sein will, er hat also kein Wesen,
keine Natur. Leider kann ich darauf hier leider nicht weiter eingehen.
Zur Natur des Menschen, also seinen aus der Wesenheit
folgenden Tätigkeiten, aber auch zur Natur aller anderen natürlichen Dinge
gehört nun, dass seine Tätigkeiten stets ziel- bzw. zweckgerichtet sind. Wir
gehen spazieren, um die Natur zu genießen oder uns mit Freunden zu unterhalten;
wir essen, um unsere Gesundheit zu erhalten und wir spielen, um Freude zu
haben. Wie bei allen anderen Lebewesen sind alle Tätigkeiten letztlich auf die
Selbsterhaltung und die Fortpflanzung gerichtet. Nur beim Menschen als
rationalem Wesen geht die Tätigkeit darüber hinaus und ist schlussendlich auf
die absolute Glückseligkeit in der Anschauung Gottes gerichtet. Das ist keine
katholische Behauptung, sondern lässt sich bereits bei Platon und Aristoteles
nachlesen.
Obgleich auch die menschlichen Tätigkeiten auf die Selbsterhaltung
und Fortpflanzung gerichtet sind, geschieht dies ganz und gar anders als bei
Tieren und Pflanzen, nämlich rational, d.h. durch die Vernunft geleitet. Jede
menschliche Tätigkeit soll so sein, dass der Verstand führend ist. Man sollte
sich also weder vom „Bauchgefühl“ leiten lassen noch von Emotionen, Gefühlen
oder der Sinnlichkeit. Wer sich von der Sinnlichkeit leiten lässt, isst z.B.
mehr als vernünftig ist und wird auf die Dauer krank. Wer sich von seiner Wut
beherrschen lässt, kann z.B. andere Personen verletzten und handelt somit böse.
Hier kommt nun der Begriff „böse“ zum ersten Mal vor. Es
gibt im Naturrecht ein oberstes Prinzip, ein höchstes moralisches Gesetz, dass
nach Thomas von Aquin selbstevident ist, d.h. ein Gesetz, das durch sich selbst
einleuchtet und deshalb weder begründet werden kann, noch begründet werden
muss. Dieses oberste naturrechtliche Gesetz lautet: „Man soll das Gute tun und
das Böse meiden“. Kaum jemand wird die Wahrheit dieses Satzes bestreiten, die
Frage ist nur: Was ist gut und was ist böse?
Aus dem schon zuvor gesagten kann man allgemein die Antwort
geben: Gut ist das, was der Natur des Menschen entspricht und böse ist das, was
im Widerspruch zur Natur des Menschen steht. Dies gilt nicht nur in moralischer
Hinsicht, sondern ganz allgemein. Ein guter Handwerker ist ein solcher, der seine
handwerkliche Arbeit zur Zufriedenheit des Kunden verrichtet, der umsichtig und
genau arbeitet und eine möglichst perfekte Arbeit abliefert. Aber ein guter
Handwerker muss nicht auch moralisch ein guter Mensch sein. Das Wort „gut“ wird
in einem analogen Sinne verwendet.
Was bedeutet es nun, wenn wir sagen, dass eine gute Handlung
eine solche Handlung ist, die der Natur des Menschen entspricht? Es bedeutet,
dass diese Handlung zur Erfüllung, zur Vervollkommnung der Natur beiträgt. Eine
Kastanie hat dieselbe Wesenheit wie ein voll entwickelter Kastanienbaum, aber
diese Wesenheit ist bei der Kastanie noch nicht entfaltet. Durch menschliche
Handlungen wird die Wesenheit des Menschen entfaltet. Es kann aber auch sein,
dass eine Handlung nicht zur Entfaltung der Wesenheit beiträgt, sondern diese
beeinträchtigt wird. Dies geschieht bei bösen Handlungen. Durch eine böse Tat
wird nicht nur ein anderer Mensch beschädigt, sondern auch derjenige, der böse
handelt. Die Entfaltung der Wesenheit, der menschlichen Natur ist die
rechtverstandene „Selbstverwirklichung“.
Jeder will etwas Gutes. Daher strebt nach Auffassung des
Naturrechts jeder Mensch mit jeder Handlung nach etwas Gutem. Der Bankräuber erstrebt
durchaus etwas Gutes, denn Geld ist etwas Gutes. Doch er erstrebt dies auf
einem falschen Weg und deshalb ist seine Handlung böse. In letzter Konsequenz
strebt jede Handlung nach dem Glück. Wir wollen glücklich sein, und zwar nicht
nur hier und dort mal, sondern letztlich strebt jeder von uns nach dem
vollkommenen Glück. Dieses vollkommene Glück ist das Endziel des Menschen, das,
worauf letztlich alle Handlungen gerichtet sind. Ein Endziel ist ein solches
Ziel, das um seiner selbst willen erstrebt wird und nicht mehr um etwas
anderen willen. Jede unserer Handlungen ist primär auf ein Ziel gerichtet, das
um eines anderen Willen erstrebt wird. Aristoteles nennt dieses Endziel, die
Glückseligkeit Eudaimonia. Wir gehen arbeiten, um uns etwas leisten zu
können, um einkaufen gehen zu können, um Urlaub machen zu können usw. Aber
letztendlich gehen wir arbeiten und tun all die anderen Dinge, um unser Endziel
zu erreichen, die vollkommene Glückseligkeit.
Wir haben gesagt, dass jede menschliche Tätigkeit auf ein
Ziel bzw. einen Zweck gerichtet ist und letztlich auf ein letztes Ziel, das
vollkommene Glück. Diese Ziele und Zwecke ergeben sich aus der menschlichen
Natur und sie sind der objektive Maßstab für die Pflichten und Rechte des
Menschen. All das, was zur Entfaltung der menschlichen Wesenheit und zur
Erreichung des Endziels erforderlich ist, gehört zu den natürlichen Pflichten
und Rechten des Menschen. Als rationales Wesen sollen alle menschlichen
Handlungen so sein, dass sie von der Rationalität bestimmt sind. Das bedeutet
z.B., dass die körperlichen und emotionalen Triebe und Bedürfnisse beim
Menschen den rationalen Erfordernissen untergeordnet werden sollen. Und
letztlich sollen alle menschlichen Handlungen dem letzten Ziel, der Eudaimonia,
untergeordnet sein.
Der Mensch kann seine Zwecke und Ziele nur verwirklichen,
solange er lebt. Deshalb wird ihm das wichtigste Gut zur Selbstverwirklichung
genommen, wenn man ihn tötet, und zwar unabhängig davon, ob er krank ist und
schwer leidet oder nicht. Auch persönliches Leid ist kein Hinderungsgrund für
die Erreichung des letzten Ziels, sondern kann sogar ein besonders gutes Mittel
zur recht verstandenen Selbstverwirklichung sein. Daraus ergibt sich das
fundamentale Recht auf Leben, aber auch die vorhergehende Pflicht zu leben.
Alle natürlichen Rechte gründen im Naturrecht auf vorhergehende Pflichten, ganz
im Unterschied zu den sogenannten Menschenrechten.
Natürlich kann man in einem Beitrag für das Internet nicht
mehr leisten, als einige Andeutungen zu machen, was das Naturrecht ist. Es gibt
aber einige gute Bücher zu diesem Thema, die kompakt und gut verständlich die
Theorie des klassischen Naturrechts erläutern. Zwei solcher Bücher möchte ich
nennen. Das eine habe ich selbst geschrieben, das Andere stammt von einem
amerikanischen Philosophen:
Rafael Hüntelmann
Grundkurs Philosophie VI
Natürliche Ethik
ISBN 978-3-86838-570-0
EUR 19,90
Steven Jensen
Ein gutes Leben führen
Eine thomistische Ethik für Anfänger
ISBN 978-3-86838-596-0
EUR 14,90
Von Dr. Rafael Hüntelmann
Zuerst veröffentlich auf The Cathwalk.de
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