Dienstag, 5. Dezember 2023

Idealismus, Konstruktivismus, Dekonstruktivismus. Der philosophische Hintergrund der gegenwärtigen Krise in Politik, Kultur und Kirche. Teil 2


Dekonstruktivismus in Politik, Kultur und Kirche

 Wenn man die hier nur in ganz groben Zügen vorgestellten Theorien oder besser gesagt Ideologien liest, fällt einem sofort auf, dass sich diese in den verschiedensten Gebieten der gegenwärtigen Welt wiederfinden.


Beginnen wir mit einer dekonstruktivistischen Theorie, die sich heute in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens wiederfindet und in der Politik, der Kultur, in den Medien und auch in der Kirche ihren Niederschlag gefunden hat. Ich meine die Gendertheorie, die inzwischen an vielen Universitäten Deutschlands gelehrt wird und etabliert ist. Diese Theorie geht vor allem zurück auf Judith Butler. Die Kernthese von Judith Butler ist, dass Geschlecht nicht als eine vorgegebene biologische Tatsache betrachtet werden sollte, sondern als ein soziales Konstrukt, das durch wiederholte „Performanz und Inszenierung“ erzeugt wird. Butler argumentiert, dass Geschlechteridentitäten und -ausdrücke nicht natürlich oder angeboren sind, sondern vielmehr durch gesellschaftliche Normen und Erwartungen geprägt werden, die durch wiederholte Handlungen und Interaktionen in der Gesellschaft aufrechterhalten werden. Butler betont auch, dass Geschlecht mit anderen sozialen Kategorien wie Rasse, Klasse und Sexualität verbunden ist und dass das Verständnis von Geschlecht durch diese „Intersektionalität“ beeinflusst wird. Butler hat mit ihren Ideen die feministische Theorie und Queer-Theorie maßgeblich beeinflusst und die Debatte über Geschlechteridentität und Geschlechterkonstruktion erweitert. Die Theorie Butlers hat inzwischen Eingang gefunden in die Gesetzgebung, so dass in mehreren Ländern, so auch in Deutschland, jeder sein Geschlecht selbst festlegen kann. Zudem wird der Unterschied zwischen biologischem und sprachlichem Geschlecht nivelliert. Eine objektive Grundlage für die geschlechtliche Identität, die im Wesen oder der Natur des Menschen verankert ist und biologische Ausprägungen hat, wird geleugnet. Durch einen Willensakt entscheidet jeder selbst über sein Geschlecht und identifiziert sich mit dieser selbstgewählten „Rolle“ für eine gewisse Zeit.

Dass die Gendersprache einen nominalistischen Hintergrund hat, wird durch folgende Überlegung deutlich. Das generische Maskulinum, dass sich in nahezu allen Sprachen findet und seit Beginn der deutschen Sprache nachweisbar ist, stellt eine Abstraktion dar. Es abstrahiert von allen individuellen Merkmalen und Eigenschaften von Personen, wie Hautfarbe, Herkunft, Alter und auch vom Geschlecht. Für einen Nominalisten ist eine solche Abstraktion inakzeptabel und er versucht diese rückgängig zu machen, indem er in die Sprache diese Abstraktion beseitigt, um auf diese Weise das Geschlecht oder andere Eigenschaften von Personen sichtbar zu machen. Natürlich würde dies die Sprache enorm verkomplizieren, was an der Gendersprache sichtbar wird. Man kann vermuten, dass aufgrund der aktuellen Debatte über Antirassismus künftig auch Versuche unternommen werden, die Herkunft und Rasse in die sprachliche Kommunikation aufzunehmen. Auf Dauer wird damit Kommunikation mehr und mehr unmöglich. Das sind allerdings eher praktische oder pragmatische Einwände gegen die Gendertheorie.

Natürlich hat die dekonstruktivistische Philosophin Judith Butler Argumente für ihre Position, die sich allerdings als schwach erweisen. Ein zentrales Argument ist sprachwissenschaftlicher Natur, das sogenannte performative Argument. Das Argument stützt sich auf J. L. Austins Begriff der „performativen Äußerung“, d. h. einer Äußerung, durch deren Vollzug etwas der Fall werden kann.  So kann zum Beispiel die Äußerung eines Richters „Ich verurteile Sie zu zehn Jahren Gefängnis“ unter den richtigen Umständen dazu führen, dass ein Straftäter tatsächlich zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wird.  Selbstverständlich ist ein solches Urteil sozial konstruiert.  Es ist nur eine Frage der Konvention, dass eine Person, die als Richter handelt, unter bestimmten Umständen dafür sorgen kann, dass ein Straftäter eine solche Strafe erhält.

 

Das performative Argument besagt nun nach Butler, dass die Äußerung eines Arztes „Es ist ein Junge“ eine solche Aussage ist.  Die Idee dabei ist, dass der Arzt, wenn er dies sagt, im Grunde genommen aussagt, dass das Baby, von dem er spricht, ein Junge ist, so wie der Richter durch seine Äußerung aussagt, dass ein Straftäter eine Strafe erhalten hat.

In einer Kritik hat der amerikanische Philosoph Alex Byrne betont, dass ein Problem bei diesem Argument darin besteht, dass performative Äußerungen nicht fehleranfällig sind, solange die entsprechenden Bedingungen erfüllt sind[1].  Wenn der Richter die fragliche Äußerung unter den richtigen Umständen macht, hat er den Straftäter notwendigerweise zu zehn Jahren verurteilt.  Er mag einen Fehler in dem Sinne gemacht haben, dass er diese Strafe nicht hätte aussprechen dürfen, aber der Punkt ist, dass er sie tatsächlich erfolgreich ausgesprochen hat, unabhängig davon, ob er es hätte tun sollen oder nicht, und selbst wenn er sie später widerrufen kann.  Im Gegensatz dazu ist die Erklärung des Arztes fehleranfällig.  Der Arzt berichtet, was er glaubt herausgefunden zu haben, und versucht nicht, etwas zu beweisen.

Um Byrnes Einwand zu ergänzen, hat Edward Feser angemerkt[2], dass die Behauptung, die Erklärung der Arztes „Es ist ein Junge“ aus dem Baby einen Junge macht, genauso unsinnig ist wie die Behauptung, die Erklärung eines Arztes „Es ist Krebs“ bewirke, dass ein Patient Krebs hat. (Sollte ein solcher Patient den Arzt verklagen, weil er ihn krank gemacht hat?  Könnte der Arzt auch sagen, „Sie haben keinen Krebs“, wodurch der Patient dann keinen Krebs hat?)  Genauso gut könnte man sagen, dass ein Hühnerzüchter die Zahl der Hühner eines Landwirts erhöhen kann, indem er einfach erklärt, dass alle Küken, die er heute findet, weiblich sind.

Byrne befasst sich mit einem zweiten Argument Judith Butlers, das er das Zuweisungsargument nennt.  Die Idee dabei ist, dass in Fällen, in denen ein Baby mit bestimmten Missbildungen der Genitalien geboren wird, die Ärzte dem Baby ein bestimmtes Geschlecht zuweisen, und dass Überlegungen darüber, was die Gesellschaft als paradigmatisch männlich oder weiblich betrachtet, teilweise bestimmen, wie dies geschieht.  Daher, so die Schlussfolgerung, ist das Geschlecht tatsächlich sozial konstruiert.

Byrne weist zu Recht darauf hin, dass bei diesem Argument die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse mit der tatsächlichen Zugehörigkeit zu dieser Klasse verwechselt wird.  Die Tatsache, dass die Ärzte einem Baby ein bestimmtes Geschlecht zuweisen, bedeutet noch lange nicht, dass das Baby auch wirklich zu diesem Geschlecht gehört.  Auch in diesem Fall könnte der Arzt einfach einen Fehler machen (auch wenn es in solchen Fällen schwierig ist, den Fehler zu erkennen).

Man kann auch darauf hinweisen, dass es ein Fehler ist, vorschnell zu verallgemeinern, wenn man annimmt, dass das, was für ungewöhnliche Fälle wie die, die das Zuweisungsargument anführt, gilt, für alle Fälle gilt.  Die Tatsache, dass es einige wenige Fälle gibt, in denen Ärzte die Notwendigkeit sehen, einem Baby ein Geschlecht zuzuweisen, bedeutet nicht, dass das Geschlecht, dem ein Baby angehört, immer eine Frage der Zuweisung eines Geschlechts durch den Arzt ist.

Wie bei anderen metaphysischen Fragen ist es auch hier ein Trugschluss anzunehmen, dass das Vorhandensein von Grenzfällen bedeutet, dass die Zugehörigkeit einer Sache zu einer bestimmten Klasse nicht gegeben ist. Das vernünftige Verfahren besteht darin, mit den eindeutigen Fällen zu beginnen und die Grenzfälle im Hinblick auf diese zu bewerten, und nicht umgekehrt.  Wie das Zuordnungsargument zeigt, ist die fragliche Unbestimmtheit in den von ihm angeführten Fällen lediglich epistemologisch und nicht metaphysisch.

 

Das dritte Argument, das Byrne diskutiert, nennt er das Erklärungsargument.  Dieses Argument beruht auf der Prämisse, dass, wenn eine bestimmte Kategorie in erster Linie zur Erklärung sozialer und nicht natürlicher Tatsachen dient, diese Kategorie wahrscheinlich sozial konstruiert ist.  Das Argument besagt, dass die Kategorien männlich und weiblich in erster Linie dazu dienen, soziale Tatsachen zu erklären, so dass diese Kategorien als sozial konstruiert angesehen werden können.

Byrnes Haupteinwand besteht hier darin, dass er darauf hinzuweist, dass es Kategorien geben kann, die in erster Linie zur Erklärung sozialer Tatsachen dienen, aber dennoch eindeutig natürlich und nicht sozial konstruiert sind.  So ist es beispielsweise plausibel, dass wir die Kategorie Gold in erster Linie in Kontexten anwenden, die verschiedene soziale Tatsachen betreffen (z. B. Tatsachen über Schmuck oder die industrielle Verwendung von Gold), aber Gold ist gleichwohl eine natürliche Art und keine sozial konstruierte Kategorie.

Es gibt auch natürliche und nicht sozial konstruierte Tatsachen, die wir durch die Verwendung der Kategorien männlich und weiblich erklären.  Zum Beispiel sind Fakten über Schwangerschaft, Geburt und dergleichen in dieser Weise verfasst.  (Ganz zu schweigen von Fakten über Tiere, wie in dem Beispiel mit dem Hühnergeschlecht).  Byrne geht selbst nicht auf diesen Punkt ein, sondern stellt fest, dass ein Verfechter des Erklärungsarguments behauptet, dass diese reproduktiven Tatsachen durch physiologische Beschreibungen und nicht durch Kategorien wie männlich und weiblich erklärt werden können.

Allerdings ist dies kein beeindruckendes Gegenargument.  Zum einen könnten wir zwar theoretisch versuchen, einen Weg zu finden, die fraglichen reproduktiven Tatsachen zu erklären, ohne die Kategorien männlich und weiblich zu verwenden, aber die Tatsache, dass wir diese Kategorien in der Realität üblicherweise verwenden, um diese Tatsachen zu erklären, reicht aus, um das Erklärungsargument ernsthaft in Zweifel zu stellen.  Zum anderen muss der Verfechter des Erklärungsarguments uns genau sagen, wie wir die relevanten physiologischen Prozesse spezifizieren können, ohne die Begriffe männlich und weiblich implizit einzuschmuggeln.  Und es ist keineswegs offensichtlich, dass dies möglich ist.  Wie sollen wir zum Beispiel die Fortpflanzungsprozesse charakterisieren, ohne auf ihre Funktion zu verweisen, kleinere Gameten mit größeren zusammenzubringen – wobei der Verweis auf diesen Unterschied in der Gametengröße genau der Verweis auf die Unterscheidung zwischen männlich und weiblich ist?

Lassen wir es bei diesen Argumenten gegen die Gendertheorie, die die logische Inkonsistenz und Irrationalität der Gendertheorie verdeutlichen. Selbstverständlich lassen sich diese Argumente auch verallgemeinert auf den Konstruktivismus bzw. den Dekonstruktivismus anwenden.

Ein besonders deutliches Zeichen für die Vorherrschaft des Konstruktivismus bzw. Dekonstruktivismus in der Kultur ist die sogenannte „Wokeness“, ein Wort, das nur schwer ins Deutsche zu übersetzen ist. Das Wort bezeichnet so etwas wie die „Erwachten“ oder die „Wachen“ und erinnert damit die antike Gnosis. Dieser Vergleich ist nicht an den Haaren herbeigezogen, denn die Woken teilen die gesamte Welt ebenfalls in Gut und Böse ein und moralisieren alle politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Bezüge. An die Stelle von Argumenten treten moralische Beurteilungen, wodurch jeder Diskurs von vornherein unterbunden wird. Auf dieses Problem und damit verbundene Gefahr des Totalitarismus hatte bereits in den 1980-er Jahren Hermann Lübbe mit seinem Buch über den politischen Moralismus hingewiesen[3]. Wenn man Wokeness definieren wollte, könnte man dies folgendermaßen tun: „Wokeness ist eine paranoide, wahnhafte, hyper-egalitäre Denkweise, die dazu neigt, Unterdrückung und Ungerechtigkeit dort zu sehen, wo sie nicht existieren, oder sie dort, wo sie existieren, stark zu übertreiben.“[4]. Die Wokeness ist der derzeitige Gipfel dessen, was man auch als „postfaktisches Zeitalter“ bezeichnet und philosophisch betrachtet eine Folge des Dekonstruktivismus.

„Beispiele hierfür wären: Die Charakterisierung von Verhaltensweisen als rassistische ‚Mikroaggressionen‘, die in Wirklichkeit entweder völlig harmlos oder schlimmstenfalls einfach nur unhöflich sind; die Verurteilung bestimmter wirtschaftlicher Ergebnisse als rassistische ‚Ungerechtigkeit‘, obwohl es keinerlei empirische Beweise dafür gibt, dass sie auf Rassismus zurückzuführen sind; die Verurteilung der Anerkennung der vernünftigen und wissenschaftlichen Tatsache, dass Geschlecht binär ist, als ‚transphob‘; die Verurteilung der Ansicht als ‚rassistisch‘, dass die öffentliche Politik farbenblind sein sollte und dass Rassendiskriminierung falsch ist, unabhängig von der Rasse der diskriminierten Personen; die Verurteilung der Ansicht als ‚homophob‘, dass es für Grundschulen nicht angemessen ist, Fragen der Sexualität im Klassenzimmer ohne elterliche Zustimmung zu behandeln, und so weiter.“[5]

Die von Feser als „Wahn“ bezeichnete Wokeness könnte man auch als eine Folge des Dekonstruktivismus bezeichnen, denn der Wahn besteht in einem massiven Realitätsverlust. Wenn die Realität unserer Welt aber selbst konstruiert ist, dann gibt es keine Realität, die unabhängig von uns besteht. Dann sind Begriffe wie „Rasse“ oder „Geschlecht“ nicht etwas, dass sich auf eine von uns unabhängige Realität bezieht, sondern Konstruktionen, die dazu dienen, Herrschaftsverhältnisse zu zementieren.


Emotionalisierung

Ein weiterer wichtiger Punkt, der zu den Folgen des Dekonstruktivismus gezählt werden sollte, ist die Emotionalisierung aller Aspekte des Lebens. Die Gefühle bestimmen, wie wir die Wirklichkeit interpretieren und diese emotionale Interpretation wird dann als die eigentliche Realität aufgefasst. Die immer weiter voranschreitende Verabschiedung der Rationalität ist eine Folge. Ein Blick in die aktuellen Fernsehprogramme reicht aus, um diese Emotionalisierung der Gesellschaft empirisch feststellen zu können. Egal zu welchem Thema berichtet wird, werden Personen gefragt, was sie empfinden oder persönlich darüber denken, als ob dies für die Tatsachen, die berichtet werden, eine zentrale Bedeutung hätte. Nicht die objektiven Tatsachen selber stehen im Mittelpunkt der Berichte, sondern die individuellen, persönlichen Gefühle und Erlebnisse mit diesen Tatsachen. In Bezug zur Wokeness schreibt Edward Feser dazu:

„Sie lehrt beispielsweise emotionales Denken, indem sie persönliche ‚Narrative‘ von Unterdrückung gegen die Ideale von Rationalität und Objektivität ausspielt und indem sie die subjektiven Reaktionen beleidigter Menschen zum Maßstab dafür macht, ob sie Opfer von ‚Mikroaggressionen‘ sind.  Es fördert Schuldzuweisungen, indem es Anschuldigungen über Mikroaggressionen und andere Missstände so behandelt, als könnten sie niemals vernünftigerweise als Folge von Überempfindlichkeit oder Paranoia der beleidigten Person angesehen werden.  Sie übt sich in negativer Filterung und der Abwertung von Positivem, indem sie Begriffe wie ‚Rassismus‘, ‚Sexismus‘, ‚Transphobie‘, ‚Homophobie‘ und dergleichen willkürlich so weit definiert, dass alles als rassistisch, sexistisch, transphob oder homophob gelten kann, selbst das, was in der Vergangenheit als paradigmatisch egalitäre Politik galt (wie farbenblinde oder rassenneutrale Politik und Ablehnung jeglicher Rassendiskriminierung).“[6]

 

Dekonstruktivismus in der Kirche

Wohl nirgendwo zeigen sich die Folgen des Konstruktivismus und der Dekonstruktion in der Kirche deutlicher als im sogenannten „synodalen Weg“ der deutschen katholischen Kirche. Die Kirche hat eine zweitausendjährige Geschichte, in deren Verlauf der Glaube der Kirche eindeutig definiert und festgelegt wurde. Änderungen sind dementsprechend, zumindest in den definierten Texten, den Dogmen, nicht möglich. Und für alle anderen Lehren der Kirche gilt, dass jede Änderung nur insoweit möglich ist, als dass sie der überlieferten Lehre nicht widersprechen darf. Für einen Dekonstruktivisten kann dies aber nicht gelten. Nach dieser Theorie sind alle Lehren der Kirche menschliche Konstrukte, deren letzte Basis die Machtausübung ist: Macht von Priestern über die Gläubige, Macht von Bischöfen über die Priester, Macht des absolutistischen Papstes über die Bischöfe und über die gesamte Kirche usw. Mit dieser Theorie werden alle Grundpfeiler der Kirche, einschließlich der Sakramente dekonstruiert und somit in Frage gestellt. Ein objektiver Glaube wird damit vollständig beseitigt und alles in die Beliebigkeit des Gewünschten umgedreht, so dass die „Identität“ der Kirche eine andere und mit dem Zeitgeist kompatibel wird. Leider wird dieser dekonstruktivistische Hintergrund von den Verantwortlichen in der Kirche, insbesondere von den Bischöfen, nicht erkannt. Denn wenn dieser Hintergrund offenbar würde, ließen sich die „Argumente“ der Dekonstrukteure leicht widerlegen und die dahinterstehende Ideologie würde offensichtlich werden. Der Dekonstruktivismus hat tatsächlich keine Argumente für seine Position. Dass in allen Bereichen des menschlichen Lebens die Macht eine Rolle spielt muss man nicht bestreiten. Doch diese ist in vielen oder den meisten Fällen so wenig von Bedeutung, dass Macht faktisch kaum eine Rolle spielt. Man kann die Familie dekonstruieren und dann hat man nur noch Machtbeziehungen übrig: Die Macht des Vaters über die Mutter, die Macht der Eltern über die Kinder, die Macht des ältesten Kindes über die Jüngeren usw. Doch das ist keine Familie, sondern ein reduktionistisches Skelett. Wer allerdings Wesenheiten negiert und bestreitet, dass es objektive Tatsachen gibt, die sich in objektiven Definitionen niederschlagen, für den lässt sich ein Mann als eine Frau definieren und für den sind kirchliche Definitionen, Dogmen und Lehrentscheidungen jederzeit zu ändern.

Es wäre m.E. wünschenswert, wenn die Auseinandersetzung mit dem „synodalen Weg“ den philosophischen Hintergrund aufdecken würde und man in eine Debatte über diesen philosophischen Hintergrund eintreten könnte. Ob die Akteure dazu bereit sind, wird sich zeigen.



[1] Alex Byrne, Is sex socially constructed? In Arc Digital (December 1) 2018; weitere Hinweise bei http://www.alexbyrne.org/popular-pieces.html.

[2] Edward Feser, Byrne on why sex is not a social construct, in http://edwardfeser.blogspot.com/2018/12/byrne-on-why-sex-is-not-social-construct.html, 13.12.2018.

[3] Hermann Lübbe, Politischer Moralismus. Der Triumpf der Gesinnung über die Urteilskraft, Berlin 1987; Neuauflage Münster 2019.

[4] Edward Feser, How to define “wokeness”, In http://edwardfeser.blogspot.com/2023/03/how-to-define-wokeness.html, 28.3.2023. Deutsche Übersetzung: Wie definiert man „Wokeness“?, http://scholastiker.blogspot.com/2023/04/, 7.4.2023.

[5] Ebenda.

[6] Ebenda.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen