Im modernen moralischen Diskurs wird oft von "Personen" und "Individuen" gesprochen, als ob diese Begriffe mehr oder weniger austauschbar wären. Doch das ist nicht der Fall. In seinem Buch Three Reformers: Luther, Descartes, Rousseau (vor allem in Kapitel 1, Abschnitt 3) weist Jacques Maritain auf einige wichtige Unterschiede zwischen den Begriffen hin und zeigt ihre moralischen und sozialen Implikationen auf.
In der katholischen Philosophie wird der Mensch traditionell
als eine Substanz verstanden, die über Verstand und Willen verfügt. Intellekt und Wille wiederum werden als
immateriell verstanden. Eine Person zu
sein, bedeutet also ipso facto, unkörperlich zu sein - ganz so im Fall
eines Engels, teilweise so im Fall eines Menschen. Und qua seiner teilweisen
Unkörperlichkeit ist der Mensch teilweise unabhängig von den Kräften, die die
übrige materielle Welt beherrschen.
Die Individualität hingegen ist im Falle der physischen
Substanzen gerade eine Folge ihrer Körperlichkeit und nicht ihrer
Unkörperlichkeit. Denn die Materie ist,
wie Thomas von Aquin sagt, das Prinzip der Individuation in Bezug auf die Mitglieder
der Arten körperlicher Dinge. Gerade
weil der Mensch körperlich ist, ist er also den Kräften unterworfen, die die
übrige materielle Welt beherrschen.
Bei einem rein körperlichen Lebewesen wie einer Pflanze oder
einem nicht-menschlichen Tier ist sein Wohl dem der Art untergeordnet, zu der
es gehört, so wie jeder Teil dem Ganzen untergeordnet ist, von dem er ein Teil
ist. Ein solches Lebewesen ist insofern vollkommen,
als es zum Wohl und zum Fortbestand des Ganzen, der Art, zu der es gehört,
beiträgt. Im Gegensatz dazu ist eine
Person, qua unkörperlich, ein vollständiges Ganzes in sich selbst. Und ihr höchstes Gut, in dem sie allein ihre
Erfüllung finden kann, ist Gott, der letzte Gegenstand der Erkenntnis des
Verstandes und des Verlangens des Willens.
Wenn wir also den Menschen als Person betrachten, neigen wir
dazu, das, was für ihn gut ist, als das zu begreifen, was seinen Verstand und
seinen Willen erfüllt, und somit (wenn wir die damit verbundenen Implikationen
richtig verstehen) in theologischen Begriffen.
Wenn wir aber an sie als Individuen denken, werden wir dazu neigen, das,
was für sie gut ist, im Sinne dessen zu verstehen, was im Wesentlichen
körperlich ist – materielle Güter, Vergnügen und die Vermeidung von Schmerz,
emotionales Wohlbefinden und Ähnliches.
Wir werden aber auch eher dazu neigen, ihr Wohl als etwas zu betrachten,
das für das Ganze, dessen Teil sie sind, geopfert werden könnte.
Maritain legt besonderen Wert auf die Implikationen all
dessen für die politische Philosophie.
Das Gemeinwohl ist mehr als nur die Gesamtheit der Güter, die die
Einzelnen genießen. Aber weil der Mensch
eine Person und nicht nur ein Individuum ist, darf das Gemeinwohl auch nicht
nur als das Wohl der Gesellschaft als Ganzes und nicht als das ihrer Teile
verstanden werden. Vielmehr "ist es
sozusagen ein gemeinsames Gut des Ganzen und der Teile" (S. 23).
Einerseits ist die politische Ordnung in einer Hinsicht
vollkommener als der einzelne Mensch, denn sie ist in einer Weise vollkommen,
wie es der Einzelne nicht ist.
Andererseits ist der einzelne Mensch in einer anderen Hinsicht
vollkommener als die politische Ordnung, weil er qua Person eine vollständige
Ordnung in sich selbst ist, die eine Bestimmung jenseits des zeitlichen
politischen Bereichs hat. Eine gerechte
politische Ordnung muss daher diese beiden Tatsachen berücksichtigen. Insbesondere muss sie anerkennen, dass das
Gemeinwohl, dem der Einzelne verpflichtet ist, für jedes Mitglied der
Gemeinschaft die Verwirklichung seines letzten, ewigen Ziels im Jenseits
ermöglicht. So kommt Maritain zu dem
Schluss, dass "die menschliche Stadt in der Gerechtigkeit versagt und sich
gegen sich selbst und ihre Mitglieder versündigt, wenn sie sich weigert,
denjenigen anzuerkennen, der der Weg der Seligkeit ist, wenn ihr die Wahrheit
hinreichend dargelegt wird" (S. 24).
Diese Weigerung ist natürlich charakteristisch für moderne
Gesellschaften, sowohl für liberale als auch für kollektivistische. Und es überrascht nicht, dass sie
gleichzeitig die menschliche Individualität stärker betonen als die menschliche
Persönlichkeit. Beide tun dies insofern,
als sie das Gute in erster Linie in wirtschaftlichen und anderen materiellen
Begriffen und nicht in geistigen Begriffen begreifen. Liberale Gesellschaften tun dies auch
insofern, als sie diese körperlichen Güter im Sinne der Befriedigung
idiosynkratischer individueller Präferenzen und des emotionalen Wohlbefindens
begreifen. Kollektivistische
Gesellschaften hingegen tun dies insofern, als sie den Menschen, qua
Individuum, als geeignet ansehen, dem Wohl der Spezies, von der er lediglich
ein Beispiel ist, geopfert zu werden.
(Es sollte daher nicht überraschen, dass Burke "den Staub und das
Pulver der Individualität" verurteilte, während er gleichzeitig den
Totalitarismus der Französischen Revolution verurteilte. Denn Individualismus und Kollektivismus
wurzeln in genau demselben metaphysischen Irrtum).
Maritain zitiert eine Passage von Reginald
Garrigou-Lagrange, die die moralischen und spirituellen Implikationen der
Unterscheidung zwischen Individualität und Personsein zusammenfasst:
Seine Individualität zu entwickeln, bedeutet, das
egoistische Leben der Leidenschaften zu leben, sich selbst zum Mittelpunkt von
allem zu machen und schließlich Sklave von tausend vergänglichen Gütern zu
sein, die uns eine elende, momentane Freude bereiten. Die Persönlichkeit hingegen wächst in dem
Maße, wie sich die Seele über die sinnliche Welt erhebt und sich durch
Intelligenz und Willen enger an das bindet, was das Leben des Geistes ausmacht. Die Philosophen haben es erkannt, aber vor
allem die Heiligen haben verstanden, dass die volle Entfaltung unserer armen
Persönlichkeit darin besteht, sie in irgendeiner Weise in der Gottes zu
verlieren. (S. 24-25, zitiert nach Garrigou-Lagrange's Le Sens Commun)
Unter den heidnischen Philosophen ist vielleicht keiner so
klar zu diesem Thema wie Plotin, der in der Fünften Enneade die
Individualität der Ausrichtung auf Gott gegenüberstellt: "Wie kommt es
also, dass die Seelen die Gottheit vergessen, die sie gezeugt hat?... Das Übel,
das sie befallen hat, entspringt dem Eigenwillen... dem Wunsch, anders zu
werden, unabhängig zu sein... Sie nutzen ihre Freiheit, um eine Richtung
einzuschlagen, die von ihrem Ursprung wegführt." Und unter den Heiligen bringt keiner diesen
Gegensatz beredter zum Ausdruck als Augustinus, der "zwei Städte
[unterscheidet], die durch zwei Lieben gebildet wurden: die irdische durch die
Liebe zu sich selbst, sogar bis zur Verachtung Gottes; die himmlische durch die
Liebe zu Gott, sogar bis zur Verachtung ihrer selbst" (Die Stadt Gottes,
Buch XIV, Kapitel 28). Diese irdische
Stadt in ihrer modernen Gestalt wurde vor allem durch den Individualismus
errichtet.
Quelle: EdwardFeser.blogspot.com
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