Dienstag, 30. April 2013

Heidegger und die Unmöglichkeit eines Gesprächs


In den vergangenen Wochen war ich durch zahlreiche Verpflichtungen stark in Anspruch genommen und konnte nicht weitere Artikel posten. Am vergangenen Wochenende besuchte ich einen alten Freund, einen Professor für Philosophie, der seit Jahrzehnten der Philosophie Martin Heideggers eng verbunden ist. Da ich ihn wie auch andere Heideggerianer seit längerer Zeit nicht mehr gesprochen hatte, vor allem mit ihnen keine philosophischen Gespräche geführt hatte, war ich zunächst überrascht über die Unmöglichkeit einer philosophischen Auseinandersetzung auf der Grundlage von Argumenten zwischen einem Vertreter der Heidegger-Schule und einem Neoscholastiker (das gleiche würde allerdings auch für einen analytischen Philosophen zutreffen, der versucht mit einem Heideggerianer ins Gespräch zu kommen). Das Problem besteht darin, dass ein Heideggerianer, wie auch andere Hermeneutiker und Transzendentalphilosophen für Argumente nahezu unzugänglich sind.




Ich möchte das Gemeinte an einem Beispiel verdeutlichen. Ich versuchte mit meinem Freund über das Thema der Zweckursache oder allgemeiner der Teleologie ins Gespräch zu kommen. Ich bemängelte, dass es in der neuzeitlichen Philosophie eine weitgehend ohne Argumente bestehende Ablehnung der Teleologie gäbe.

Daraufhin verwies der Kollege auf Immanuel Kant, der doch einiges zur Kritik der Teleologie gesagt habe. Nach Kant könne nichts Objektives über Zwecke in der Natur gesagt werden, da uns diese, wie überhaupt das Ding an sich, nicht erkenntnismäßig zugänglich sei. Wir erkennen immer nur die Erscheinungen der Dinge, die durch unsere Erkenntnis schon immer geformt werden, so dass eine Aussage darüber, wie die Dinge an sich sind, d.h. wie sie ohne unsere Erkenntnis sind, gar nicht möglich sei.

Nun ist dies nicht wirklich ein Argument gegen die Theorie der Zwecke in der Natur, denn dies setzt bereits die gesamte Philosophie Kants voraus. Und genau dies ist es, was mein Freund aus dem Heidegger-Lager auch zugestand, allerdings indem er darauf bestand, dass eine andere Form der Auseinandersetzung gar nicht möglich ist. Jeder Philosoph ist von einem eigenen Grundansatz bestimmt und dieser unterscheidet sich von dem anderer Philosophen, so der Kollege. Doch gibt es nicht nur einfach einen Unterschied, sondern einen Fortschritt (sofern es sich um einen wirklich großen Denker handelt), denn der neue Ansatz sucht nach einem tieferen Verständnis, das die vorhergehende Theorie aufnimmt und aufhebt.

Schon dieses Verständnis der Philosophie, das vom Systemgedanken bestimmt ist, d.h. einem philosophischen Ansatz, der von einem einzigen Punkt ausgehend das gesamte Gebäude der Philosophie konstruiert, ist ein typisch neuzeitlicher Gedanke, der weder auf die scholastische Philosophie, noch auf Aristoteles aber selbst nicht auf die analytische Philosophie anwendbar ist. Eine solche Theorie setzt zudem ein evolutionäres Fortschrittsdenken voraus, das alles andere als selbstverständlich ist. So glaube ich nicht, dass es im Ganzen der Philosophie einen Fortschritt gibt; allenfalls kann man in bestimmten Einzelproblem davon sprechen, dass diese seit der Antike etwas besser geklärt und vertieft wurden.

Wie soll bei einem solchen Verständnis von Philosophie, wie es der neuzeitlichen Philosophie und auch der Philosophie Heideggers zugrunde liegt, ein Gespräch über eine philosophische Frage möglich sein? Man kann so nicht z.B. das Problem der Zweckursache diskutieren, ohne zuvor das Problem der neuzeitlichen Erkenntnistheorie diskutiert zu haben und dieses setzt wieder eine Analyse des neuzeitlichen Skeptizismus voraus, der wiederum eine Auseinandersetzung mit den Nominalismus voraussetzt; und dies sind nur die ganz groben Markierungspunkte.

So mussten wir denn auch schon nach kurzer Zeit unser philosophisches Gespräch beenden und uns anderen, nicht-philosophischen Themen zuwenden, denn auf dieser, zuvor angedeuteten Weise, war ein Gespräch nicht möglich.

Dies ist übrigens bei modernen analytischen Philosophen durchaus anders. Obgleich diese philosophischen Theorien von der Scholastik oder dem Aristotelismus sicher in den meisten Fällen ebenso weit entfernt sind, wie die Systemphilosophien der Neuzeit, ist dennoch eine echte Auseinandersetzung möglich. Der Grund dafür scheint mir zu sein, dass analytische Philosophien keine Systemphilosophien sind und deshalb auch für Kritik offen. Den Systemphilosophien ist es eigen, dass sie gegen Kritik weitgehend immun sind und den Kritiker in das System hineinzwingen. Die Philosophie Heideggers ist nun sicher kein System wie Schelling oder Hegel und auch nicht mit den älteren Systemen der neuzeitlichen Philosophie direkt vergleichbar, allerdings ist Heidegger in sich hermetisch noch verschlossener als diese früheren neuzeitlichen Philosophien. Eine Kritik an Heidegger prallt deshalb jederzeit von ihm ab, weil sie von außen nicht an das von Heidegger Gedachte heranreicht und von innen mehr oder weniger überflüssig ist.

1 Kommentar:

  1. Eine kleine Nebenbemerkung zur Argumentation Ihres Philosophenfreundes: Seine Bezugnahme auf Kants Kritik des Teleologiegedankens stützt sich auf die "Kritik der reinen Vernunft". In seinen späteren Werken (Kritik der Urteilskraft, Opus Postumum) hat Kant dazu eine differenziertere Ansicht vertreten. Hier geht er davon aus, dass uns gewisse Phänomene wie z.B. der Organismus nur durch eine teleologische Naturbetrachtung vor den Blick bekommen und keineswegs durch eine nur kausal-mechanische. Von hier aus lässt Kant "keinen Zweifel an der ontologischen Vorordnung der teleologischen Natursicht vor der kausalmechanischen " (Spaemann/Löw 1991, 136).Es zeigt sich hier, dass "das Prinzip des Zwecks etwas symbolisiert, was den Dingen an ihnen selbst zukommt und nicht nur ihnen durch uns festgelegten Erscheinungsweisen" (ebd. 137) wie z.B durch die Kategorie der Kausalität.
    Die Zitate sich aus dem Buch "Die Frage Wozu? Geschichte und Wiederentdeckung des teleologischen Denkens" von Spaemann/Löw entnommen (später veröffentlicht unter dem Titel 'Natürliche Ziele'). Die Beurteilung von Kants Stellung zum Teleologieproblem ist von diesem Buch her etwas differenzierter zu beurteilen als es bei ihrem Philosophen-Kollegen geschieht.
    Eine Besprechung des genannten Buches von Spaemann/Löw aus der Sicht der traditionellen Scholasik wäre m.E. sehr interessant. Vielleicht wäre das ein Thema für einen weiteren Post von Ihnen.
    Mit hochachtungsvollen Grüssen

    Ihr Adrian A.

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