Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in Ihrem Zimmer und lesen
im Internet und plötzlich hören Sie ein seltsames Rascheln im Nebenraum, obwohl
niemand dort ist. Sie fragen sich: Was ist der Grund dieses Raschelns? Dies ist
eine völlig natürliche und selbstverständliche Reaktion. Philosophen haben
daraus ein Prinzip gemacht, das als „Satz vom Grund“ bezeichnet wird. Es gibt
verschiedene Formulierungen des Prinzips und das Alter dieses Prinzips wird von
einigen Philosophen bis zu dem Vorsokratiker Parmenides zurück geführt. Am
bekanntesten ist die Formulierung von Leibniz, für den dieses Prinzips nach dem
Nichtwiderspruchsprinzips das wichtigste aller Prinzipien ist. In einem seiner
Hauptwerke, der Theodizee, formuliert Leibniz das Prinzip mit den Worten: „nichts
geschieht, ohne dass es eine Ursache oder wenigstens einen bestimmenden Grund gibt,
d. h. etwas, das dazu dienen kann, a priori zu begründen, weshalb
etwas eher existiert als nicht existiert und weshalb etwas gerade so als in
einer anderen Weise existiert.“ Scholastische Philosophen haben dieses Prinzip
auch zur Begründung des Kausalprinzips verwendet, allerdings mit einem anderen
Verständnis als Leibniz und der Rationalismus.
Nach dem großen französischen Neuscholastiker
Garrigou-Lagrange besagt das Prinzip vom zureichenden Grund, wie es auch
genannt wird, dass alles intelligibel ist, dass alles erkennbar ist (wenn auch
nur begrenzt) und dass es einen zureichenden Grund gibt oder eine angemessene,
objektive Erklärung für alles was existiert und für alle Attribute von
jeglichem Seienden. Diese Formulierung ist mehr erkenntnistheoretisch
formuliert, doch wird auf der Grundlage dieses Prinzips das Kausalprinzip
begründet. Wäre das Kausalprinzip (Aktualisierung einer Potenz) falsch, so das
Argument, dann könnte eine Veränderung oder die Entstehung von etwas, was
bisher nicht existierte, ohne Ursache sein. Dann allerdings wäre ein solches
Phänomen nicht erkennbar, nicht intelligibel; es hätte keinen zureichenden
Grund und keine angemessene Erklärung. Das Rascheln im Ihrem Nebenraum hätte
schlicht keinen Grund. Sie könnten es sich deshalb auch gleich ersparen, nachzusehen,
warum es geraschelt hat. Wenn daher das Prinzip vom zureichenden Grund (PZG)
wahr ist, dann ist auch das Kausalprinzip (KP) wahr, denn KP ist nur eine
Anwendung von PZG.
Für die scholastische Philosophie ist das aber nicht so
einfach hinnehmbar. Es gibt zwei Fragen: Erstens: können
aristotelisch-scholastische Philosophen das PZG anwenden? Zweitens: ist das PZG
wahr?
Warum diese Fragen? Einige neuscholastische Philosophen in
der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, z.T. auch schon vorher, haben davor
gewarnt, dass PZG, das einen rationalistischen Ursprung hat, unkritisch zu
übernehmen. Besonders Etienne Gilson hat sich hier hervorgetan und kritisiert
neuscholastische Philosophen dahingehend, dass sie oft allzu leicht dem „Essentialismus“
des Rationalismus auf den Leim gegangen sind, dem er, Gilson, einen
thomistischen „Existentialismus“ entgegenstellt. Die Begriffe „Essentialismus“
und „Existentialismus“ haben bei Gilson allerdings eine deutlich von der
gewöhnlichen Begriffsverwendung verschiedene Bedeutung. Mit seiner Kritik am „Essentialismus“
wendet sich Gilson gegen den Rationalismus, der allein aus Begriffen die
Wirklichkeit konstruiert, wobei der Rationalist der Auffassung ist, dass alle
Begriffe gewissermaßen in den menschlichen Geist „eingegossen“ sind und die
empirische Erkenntnis nicht zu wahrem Wissen und Erkennen beitragen kann. Gegen
eine solche Erkenntnistheorie wenden sich der Aristoteliker und der
Scholastiker mit Entschiedenheit. Allerdings, und hier übertreibt Gilson wohl
etwas, bedeutet die Anerkennung des PZG nicht automatisch auch die Anerkennung
des Rationalismus oder der rationalistischen Voraussetzungen der
Erkenntnistheorie. Jacques Martain, einer der bedeutendsten Neuscholastiker im
20. Jahrhundert, hat deshalb auch dafür argumentiert, dass man das PZG so
formuliert durchaus akzeptieren kann: „alles was ist, hat das, wodurch es ist“.
In dieser Formulierung fehlt die explizit erkenntnistheoretische Ausrichtung
des PZG.
Allerdings muss auch eine Formulierung des PZG, die Bezug
nimmt auf die Erkennbarkeit, nicht unbedingt von der Scholastik zurückgewiesen
werden. Der Grund dafür liegt in der thomistischen Theorie der „Transzendentalien“
die besagt, dass Sein und Wahrheit „austauschbar“ sind. D.h., dass etwas, das
existiert, auch wahr ist und deshalb auch erkennbar ist. Diese Art der Wahrheit
(„transzendentale“ oder ontologische Wahrheit der Dinge) ist die Voraussetzung
ihrer Erkennbarkeit. Es wäre zu kompliziert, diesen Zusammenhang hier weiter zu
erläutern. Dazu kann man z.B. den Grundkurs Philosophie II: Metaphysik,
empfehlen. Zumindest implizit ist jedenfalls eine bestimmte Version des PZG in
der thomistischen Philosophie enthalten.
Allerdings, und dies muss besonders betont werden,
unterscheidet sich das rationalistische Verständnis des PZG deutlich von dem
Verständnis der Scholastiker. Dies kann man anhand eines Einwandes gegen das
PZG demonstrieren, der auf das rationalistische, nicht jedoch auf das
scholastische Verständnis zutrifft. Das Argument gegen das PZG lautet
folgendermaßen: Stellen Sie sich einen Satz, bzw. eine Proposition vor, die
eine Konjunktion aller wahren und kontingenten Sätze ist. Dies wäre eine
Proposition, die die gesamte Welt vollständig beschreiben würde. Da nun alle
Sätze dieses gewaltigen konjunktiven Satzes kontingent, also nicht notwendig
sind, muss auch der ganze Satz kontingent sein. Deshalb kann die Erklärung dieser
gewaltigen Proposition keine notwendige Proposition sein, denn alles, was ein
notwendiger Satz enthält, muss selbst notwendig sein. Aber, und dies ist nun
der viel wichtigere Einwand, eine solche gewaltig große Proposition kann auch
nicht kontingent sein. Denn wenn sie dies wäre, dann müsste diese große
Proposition selbst ein Konjunkt unter anderen Sätzen in der gewaltigen
konjunktiven Proposition sein. Dies würde aber bedeuten, dass die große
konjunktive Proposition sich selbst erklärt. Das Prinzip vom zureichenden Grund
behauptet aber gerade, dass keine kontingente Proposition sich selbst erklärt
und dadurch kann der große Satz, der alle anderen kontingenten Sätze enthält,
gar nichts erklären. Doch dann gibt es etwas, das keine Erklärung hat und damit
ist das PZG widerlegt.
Für das scholastische Verständnis des PZG ist dies aber kein
Einwand, weil das scholastische Verständnis nicht behauptet, dass Propositionen
eine Erklärung bedürfen und zweitens, dass eine Erklärung kein logisches
Enthaltensein erfordert.
Doch gibt es nun auch positive Argumente für das PZG? Es
gibt solche Argumente und eins davon ist eine bestimmte Variante des
empirischen Arguments für das Kausalprinzip,
das wir hier übergehen (siehe Edward Feser: Scholastic Metaphysics, S. 142ff.)
Weitere Argumente für das PZG beruhen auf dem Nachweis, dass
die Zurückweisung dieses Prinzips einen radikalen Skeptizismus zur Folge hat,
durch den jede rationale Untersuchung der Wirklichkeit unmöglich wird bzw. dass
überhaupt jede Wahrnehmung fragwürdig wird.
Es gibt weiterhin Argumente für das PZG in der Weise, dass
man zeigen kann, dass wissenschaftliche Forschung zumindest implizit das PZG
voraussetzt. Diese Argumente gehen zurück auf Bertrand Russell und J. L. Mackie.
Der Gedanke dabei ist, dass wir zumindest einige Phänomene mit Hilfe von
Naturgesetzen erklären können. Diese Naturgesetze können wir wiederum auf Grund
fundamentalerer Gesetze erklären und diese vielleicht durch noch grundlegendere
Gesetze. Die fundamentalsten Gesetze wären aber nicht erklärbar, wenn das PZG
ungültig wäre. Dass die Welt von diesen Gesetzen beherrscht wird, wäre nichts
anderes als eine „nackte Tatsache“ ohne jede Erklärung.
So kann man sagen, dass das PZG nicht nur eine starke
Unterstützung für das Kausalprinzip liefert, sondern auch eine starke
Verteidigung gegen wissenschaftsbasierten Einwänden gegen das Kausalprinzip,
wie wir sie von Seiten Russells
oder auf der Grundlage von Newtons Trägheitsprinzip oder von Seiten der Quantenmechanik
bereits kennengelernt haben.
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